Simone Dede Ayivi Diskurspogo: Das vermeintliche Aufeinanderzugehen heißt Rechtsruck
Wir brauchen ein starkes, breites Bündnis gegen rechts. Wir brauchen einen strömungs- und parteiübergreifenden Antifaschismus. Klar! Dafür müssen wir aufeinander zugehen, Differenz aushalten, unterschiedliche Positionen akzeptieren und auch bereit sein für Kompromisse. Oft müssen wir vom ein oder anderen Standpunkt ein Stück abrücken und Befindlichkeiten hintan stellen.
In Anbetracht der derzeitigen Lage halte ich es für angemessen, so aufeinander zuzugehen. Aber wenn wir aufeinander zugehen, warum bewegt sich dann alles nur in eine Richtung – nämlich in Richtung der CDU?
Aus Kompromissen, die es mal offensichtlich, mal auch nur angeblich braucht, um „die AfD zu verhindern“ ist bisher nichts Progressives entstanden. Das müsste es aber, wenn man „aufeinander zugeht“. Wenn sich dabei allerdings alles nur einseitig verschiebt, dann nennt man das Rechtsruck.
Eine Mehrheit teilt das dringende Bedürfnis, nicht in einem faschistischen Staat leben zu wollen. Ich bin bereit, dafür einiges zu tun! Trotzdem muss ich mich selbst dauernd fragen, wann ich kompromissbereit bin und wann einfach nur inkonsequent. Wann schließe ich schweren Herzens einen notwendigen Kompromiss? Und wann werfe ich nicht nur meine Ideale über Bord, sondern buchstäblich Menschen, indem ich Gelder für zivile Seenotrettung streiche?
„Ein breites Bündnis aufstellen“, das bedeutet seltsamerweise immer wieder, dass Menschen sich misgendern lassen sollen und dass ich auf einer Veranstaltung „gegen rechts“ sitze, auf der Leute freundlich lächelnd die Farbe meiner Haut mit dem Milchgehalt ihres Kaffees abgleichen. Es bedeutet nie, dass der schwarz-rote Berliner Senat „zähneknirschend und mit Bauchschmerzen“ die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen mit Tempo vorantreibt. Immerhin haben sich die Berliner*innen in einem Volksentscheid klar dafür ausgesprochen. Würde der Senat die Umsetzung jetzt verschleppen, kann das zu Frustration und Politikverdrossenheit führen. Und das nutzt der AfD.
Auf wessen Kosten gehen also diese Bündnisse? Welche Inhalte müssen dafür weichen? Von wem wird Offenheit erwartet – und wer kann einfach so weitermachen wie bisher? Mehr Menschen abholen und Bündnisse tatsächlich stärken und erweitern, das kann man mit sozialer Politik und indem man Protest inklusiv und barrierearm gestaltet. Indem man besonders diejenigen schützt und verteidigt, die zuallererst unter rechter Hetze leiden.
Stattdessen wird der Familiennachzug ausgesetzt, und danach ist auch noch das Internet voll mit Sozialdemokrat*innen, die uns von ihrem „schweren Herzen“ erzählen und auf den Koalitionsvertrag verweisen. Wie viele Menschen, die Schutz brauchen, werden geopfert, um diese Groko zu schützen?
Warum heißt „Kompromisse finden“ und „Räume öffnen“: Ich muss neben irgendeiner Ute sitzen, die mich mit Fragen zu „meiner Herkunft“ bedrängt? Warum denkt Ute nicht: „Wir brauchen breite Bündnisse! Ich muss mich jetzt mal mit Rassismus beschäftigen, um einladender gegenüber PoC zu sein“?
Wer von Mitte-links-Bündnis redet, muss sich auch aus der Mitte nach links bewegen. Eigene Interessen in den Hintergrund stellen für das große Ganze ist nichts, das nur von progressiv nach konservativ funktioniert. Wer sich nicht nach links bewegt, spaltet.
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