Silvia Bovenschen ist tot: Die heimliche Heldin
Silvia Bovenschen war Schriftstellerin, Essayistin, Literaturwissenschaftlerin – und für manche auch ein Vorbild.
Es ist merkwürdig, wenn jemand stirbt, der selbst so viel geschrieben hat über das Verschwinden. „Diese Ungeheuerlichkeit, ein wunderbarer Mensch, so einzigartig in seinem Witz, wie er erzählt, wie er lacht, was er sagt, wie er's sagt. Diese Einzigartigkeit, das die von einer Sekunde auf die andere verschwunden ist, das hat mich immer sehr umgetrieben, nein wütend gemacht“. Das hat Silvia Bovenschen vor Jahren in einem Interview gesagt, damals schon von der Krankheit Multiple Sklerose gezeichnet.
Nun ist sie selbst verschwunden, die mutige, elegante, heitere, mitunter auch schroffe Literatin, gestorben am 25. Oktober im Alter von 71 Jahren in Berlin. Sie hinterlässt ihre langjährige Lebensgefährtin, die Malerin Sarah Schumann. Bovenschen wollte nie eine Leitfigur sein, für viele aber bleibt sie ein Vorbild, etwa zur Frage, wie man Schönheit, Freiheit und Liebe vereinen kann mit Vergänglichkeit, Krankheit, Schmerz und Tod.
Bovenschens Karriere begann als Literaturwissenschaftlerin in Frankfurt am Main. Mit ihrer 1979 veröffentlichten Dissertation unter dem Titel „Die imaginierte Weiblichkeit“ schuf sie ein feministisches Standardwerk und lehrte dann 20 Jahre lang in Frankfurt Literaturwissenschaft.
Jenseits des Beschwerdesounds
Breiter bekannt wurde sie Jahrzehnte später durch ihren Bestseller „Älter werden“ (2006). Das Bändchen ist eine Sammlung von Notizen, Szenen, Reflektionen aus ihrem Leben, in denen sich viele LeserInnen wiederfanden. Darin fand Bovenschen eine unpathetische und dennoch poetische Sprache, die sich wohltuend abhebt einerseits vom Beschwerdesound und andererseits auch vom aufgesetzten Optimismus vieler Frauenbücher über das Älterwerden.
Darauf folgten weitere belletristische Bücher, so 2008 das fiktive Werk „Verschwunden“. Die Hauptfigur ist eine Frau, die krankheitsbedingt die Wohnung nicht mehr verlassen kann und sich deswegen von ihren FreundInnen Geschichten bringen lässt über das „Verschwinden“. Bovenschen hatte schon in jungen Jahren die Diagnose „Multiple Sklerose“ erhalten, die Krankheit schränkte ihre Mobilität ein und fesselte sie oft ans Haus. Dort arbeitete sie oft auf einem Bett sitzend, das mit einem kunstvollen Überwurf geschmückt war. Später folgte der Rollstuhl. Sie bekam zwei Krebsdiagnosen.
Die Zeit ist kostbar
Bovenschen, eine elegante Erscheinung, verbat sich alles Selbstmitleid, wie sie selbst einmal sagte, aber nicht aus Heldentum, sondern als Selbstschutz, aus „krassem Egoismus. Ich brauche Leute, die mir helfen, ich will auch, dass mich ein paar Leute mögen“. Sie attestierte sich eine Haltung von „grimmiger Heiterkeit“ gegenüber dem Leben. Die Zeit war zu kostbar, um sich an verbrauchten Feindbildern zu verkämpfen.
2013 schrieb sie eine Komödie, die in einer Wohngemeinschaft von vier alten Frauen spielt („Nur Mut“). In demselben Jahr wurde sie in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. Mit dem Buch „Sarahs Gesetz“ (2015) setzte sie schließlich ihrer Lebensgefährtin, der Malerin Sarah Schumann, ein Denkmal.
Das Bewusstsein um die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des Lebens durchdringt ihre Bücher. Vor allem Momente seien es, in denen sie Glück empfinde, meinte sie und beschrieb diese Glücksmomente auch in Interviews. „Einmal, es war in aller Frühe, die Sonne war gerade aufgegangen und wärmte mich schon sanft, saß ich auf einer Klippe und schaute auf das glitzernde Mittelmeer und den Ätna. Dabei aß ich ein Mandelgebäck, das mit saftigen kandierten Früchten versetzt war – und ich war vollkommen glücklich.“
Im nächsten Jahr soll Bovenschens letzter Roman posthum erscheinen: „Lug und Trug und Rat und Streben“. Vielleicht sind die Toten gar nicht verschwunden.
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