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Signal für virulente Gefahr des Antisemitismus?

■ betr.: „Vom Ghettobriefträger zum Millionär“, taz vom 11./12. 1. 97

Der 70. Geburtstag von Ignatz Bubis ist sicherlich ein guter Grund, dessen Verdienste öffentlich zu würdigen. Der taz-Artikel von Anita Kugler tut dieses freilich in jener fatalen Weise, die es nicht zuläßt, über das gestellte Thema anders – und sei es auch nur nachfragend – nachzudenken, als es die Selbsteinschätzung des Jubilars, gepaart mit dem schlechten Gewissen linker Vergangenheitsbewältigung nahelegen.

Wieso ausgerechnet Bubis – und das auch noch wie niemand sonst – „das gesamte Spektrum deutscher Geschichte“ repräsentiert, ist mir nicht nur angesichts millionenfach arbeitsloser Nichtmillionäre, ein Rätsel. Und wenn es wirklich stimmt, daß Joschka Fischer sich entschuldigt hat, Bubis „in den wilden Hausbesetzerjahren in Frankfurt“ einen Spekulanten genannt zu haben, dann, o gnädige Verdrängung, sollte Fischer seine eigene Vergangenheit endgültig gewinnbringend abschreiben.

Natürlich war Bubis ein Spekulant, denn Spekulation war und ist das Wesen des profitträchtigen Immobilienhandels. Bubis selbst, denke ich, wird das nicht anders sehen. Die Frage ist ja auch nicht, ob ein Spekulant tatsächlich ein Spekulant war, sondern ob Spekulantsein etwas sozial Anstößiges ist oder nicht.

Ob schließlich die einfache Formel von dem „deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens“ tatsächlich ein Grund ist, von einem Glücksfall zu reden, darüber sollte genauer nachgedacht werden. Was ist zum Beispiel mit den atheistischen Juden und denen, die sich selbst Halb- oder Vierteljuden nennen: Die meinen doch wohl nicht ihre Religionszugehörigkeit, sondern wohl eher eine historisch verankerte soziale Gemeinschaft. Mir ist jedenfalls bange, wenn mit einfachen Formeln mehr vernebelt als aufgeklärt werden kann.

Zu fragen wäre aus gegebenem Anlaß auch, ob überwältigende Sympathiebeweise nicht auch Ausdruck einer philosemitischen Einstellung sein können, also einer Haltung, deren positivste Eigenart wieder mal nur das schlechte Gewissen ist. Wenn das so ist, dann ist das eben auch ein Signal für die immer noch virulente Gefahr des Antisemitismus. Friedrich Kremser, Saarbrücken

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