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Archiv-Artikel

Sieht voll gut aus

Auf ihr Foto mochte kaum eine Zeitung verzichten. Was hielten Zeitungen sonst von Senait und ihrem „Herz aus Eis“ beim Grand Prix?

die SENAIT-PRESSESCHAU

Vor dem Abend in Kiel schrieben sie:

„Basisdemokratisch, wie sie ist, schrieb die taz einen Leserwettbewerb um den Text für Senaits Lied aus. Heraus kam trotzdem ein echtes Grand-Prix-Lied. Könnte ein Schlager sein.“

(Badische Zeitung, 1. 3.)

„In Berlin wird Senait Dritte. Geht es nach den Probeabstimmungen, hat Senait gute Chancen. In Bayern gewann sie beim Test der Fan-Club-Mitglieder.“

(Berliner Morgenpost, 6. 3.)

„Wenn nicht alle Stimmbänder reißen, wird es in Kiel zu einem Wettstreit unterschiedlicher Kosmen kommen – zwischen Senait, der von der „taz“ vorgeschlagenen Frau aus Eritrea, und dem landesweit bekannten Elmar Brandt. Hier prallen Anschauungen aufeinander: Senaits „Herz aus Eis“ ist ein schmerzensreiches Lied. Gesanglich nicht uninspiriert, textlich bieder, aber nicht unangenehm – wird das reichen, um die internationale Kuriosität einer „Gerd Show“ hinter sich zu lassen?“

(Der Tagesspiegel, 7. 3.)

„Senait Mehari, 26, Sängerin, Texterin, Komponistin, sagt, wie sie es machen wird bei ihrem Auftritt: sauber und clean. Erneuerung sozusagen durch die Rückführung auf das Wesentliche. „Ich werde auf die Bühne gehen und meinen Song vortragen, mehr nicht. Ich werde auf die Bühne gehen und sagen, ey, das ist Musik!“ Es klingt ganz einfach. Aber es ist ziemlich schwierig. Eine große Aufgabe. Vielleicht eine kleine Revolution. Senait Mehari wird von der Plattenfirma Polydor und der Tageszeitung taz zur deutschen Vorentscheidung des Grand Prix geschickt, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat auch einen Sänger am Start. Ein Versuch, den Grand Prix nicht immer nur zu verhöhnen, sondern ihn durch eigene Kandidaten zu bereichern. Und eine Antwort, vielleicht auch eine Parodie auf die Popularisierungsmaschine der Boulevardzeitungen, die in den letzten Jahren manchmal vor dem Grand Prix einen Kandidaten dermaßen ausgeleuchtet haben, dass am Abend der Entscheidung, wenn die Zuschauer abstimmten, kein anderer mehr zu erkennen war.“

(Süddeutsche Zeitung, 7. 3.)

Nach der Entscheidung lasen wir:

„Was haben sie sich angestrengt, die Unterhaltungsredakteure der Berliner tageszeitung. Ausnahmsweise farbig und riesig ist am Wettbewerbstag gar das Foto auf der ersten Seite der taz. Sinnvollerweise ist die schöne Senait Mehari, 26, die Kandidatin der Zeitung. Basisdemokratisch ist ihr Lied „Herz aus Eis“ gewählt und seitenweise beworben worden. Wettbewerbstechnisch ist das Glück nicht auf ihrer Seite. Senait wird nur Vierte in Kiel, obwohl sie sehr innig singt und ihr erzig-silbernes Kleid dabei schön schimmert.“

(Berliner Zeitung, 10. 3.)

„Senait hat zwei wirkliche assets: Sie kann singen und sieht dazu noch voll gut aus. Sie sieht, auch wenn das unwahrscheinlich klingt, sogar in Echt noch besser aus als auf dem Schirm. Allerdings musste sie einen interpretationshilfebedürftigen Text aus der Feder eines „taz“-Lesers singen. Nichtsdestotrotz ersang sich Senait einen ebenso wackeren wie undankbaren vierten Platz. Viel hätte nicht gefehlt, und Deutschland hätte eine Kandidatin zum Grand Prix geschickt, für die man sich in den Sommerferien im europäischen Ausland nicht hätte entschuldigen müssen.“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 9. 3.)

„Enttäuschung machte sich bei den Besuchern der Direktübertragung im Kreuzberger Kino „Eiszeit“ breit. Sie waren von der taz als Unterstützung für Senait mobilisiert worden. Entsetztes Schweigen griff jedoch angesichts des belanglosen Auftritts der in Eritrea geborenen Sängerin um sich.“

(Neues Deutschland, 10. 3.)

Über die Siegerin Lou, ihr Lied „Let’s Get Happy“ und den Komponisten Ralph Siegel lasen wir:

„Vor ein paar Jahren sah es so aus, als mutiere der Grand Prix zu einer Freakshow, mit Guildo Horn, Rudolph Moshammer und Knorkator. Der Modernisierungsversuch ist gescheitert. Jetzt wirkt es so, als ob nach Gorbatschow plötzlich wieder Breschnew regiert.“

(Tagesspiegel, 10. 3.)

Zum Streit um die (vermeintliche) Zensur der Wiglaf-Droste-Glosse vom 7. März (samt Kommentar der Chefredaktion) siehe auch die Leserbriefspalte in der heutigen taz