Sieg der Hosenträger

Gestatten, Tim Müller, Erdölmagnat. Sehr erfreut, Maja Schneider, Astronautin: Einmal im Jahr gibt es am Potsdamer Platz auch das Treffen der deutschen Plakettenträgervereinigung. Eine Geschichte

von DANIELA BÖHLE

Auf diesen Tag hatte sich Tim lange vorbereitet. Jedes Jahr traf sich in Berlin im Februar um den Potsdamer Platz herum die deutsche Sektion der internationalen Plakettenträgervereinigung. Ein neuer Trend hatte sich durchgesetzt: Man befestigte sein Plastikschild nun nicht mehr mit einem Clip oder einer Sicherheitsnadel am Revers oder an der Brust. Stattdessen klippte man sein Plastikschild an einen Hosenträger, den man sich um den Hals hängte. Zuerst hatte Tim die Nase gerümpft. Es erinnerte ihn an die armen Schlüsselkinder aus seiner Schulzeit, die von allen bemitleidet wurden, weil sie keine Mutter zu Hause hatten, die ihnen das Mittagessen warm machte. Doch bald hatte er den Vorteil dieser Hosenträger bemerkt. Man musste nun seinem Gegenüber nicht mehr in den Ausschnitt kriechen oder vor ihm buckeln, um sein Namensschild lesen zu können. Man konnte nun einfach den Hosenträger packen, ihn zu sich heranziehen, ohne den Namensschildbesitzer zu strangulieren, und in aller Ruhe das Schild studieren.

Tim war zufrieden mit dieser Entwicklung. Endlich würden die Feinheiten seiner Plastikschilder richtig zur Geltung kommen. Endlich konnten auch kurzsichtige Kolleginnen und Kollegen, die bisher zu schamhaft gewesen waren, seine Schmuckstücke bewundern. Neben seinen rund fünfzig verschiedenen Plastikschildern besaß er inzwischen auch ein Dutzend unterschiedlich gemusterter Hosenträger, die er farblich auf das jeweilige Plastikschild abstimmte. Vor den Tagen des Treffens der deutschen Sektion der internationalen Plakettenträgervereinigung hatte er viele Stunden vor dem Spiegel verbracht. Er hatte die Wirkung der unterschiedlichen Hosenträger und die Wirkung der unterschiedlichen Plastikschilder sowie deren Interaktion überprüft, er hatte sogar für ein neues Plastikschild extra einen neuen Hosenträger kaufen müssen, aber das war es ihm wert gewesen. Dieses Namensschild würde er am ersten Abend des Treffens tragen. Es trug die Aufschrift „Tim Müller“, darunter in schwungvollen Buchstaben „Großwildjäger“. Er hatte dazu einen Hosenträger mit Leopardenmuster erworben.

Am zweiten Tag würde er dieses Paradeexemplar gegen Tim Müller, Erdölmagnat, austauschen. Dazu wollte er den rein schwarzen Hosenträger kombinieren, eine sehr edle Wahl. Für den dritten Tag war er noch unschlüssig. Tim kam etwa bei Sonnenuntergang am Potsdamer Platz an. Die Gäste des Treffens trugen keine Plaketten, dafür aber große Abendgarderobe. Das waren die großzügig geduldeten Nichtmitglieder den Mitgliedern der Plakettenträgervereinigungssektion auch schuldig, fand Tim. Er nickte den Gästen freundlich und nur wenig herablassend zu und schlenderte von Vereinskollege zu Vereinskollege. Interessiert zog er deren Hosenträger zu sich heran und las aufmerksam die Aufschrift. Er wunderte sich oft, wie einfallslos seine Kollegen waren. Früher einmal hatte er anregen wollen, einen Preis zu verleihen für das kreativste Namensschild.

Doch die Erfahrung hatte gezeigt, dass er diesen Preis jedes Jahr wieder nur selber gewinnen würde, und so hatte er diesen Preis nie vorgeschlagen. Ein Windhund läuft auch nicht mit einem Rudel Dackel um die Wette. Doch es blieb ihm ein Rätsel – warum fiel den meisten nichts Besseres als Berufsbezeichnungen wie Fotograf oder Journalistin ein? Er war nicht selten betrübt über so wenig Fantasie auf dieser Welt. Nach den vielen so betrüblich ähnlichen Namensschildern fast schon leicht abwesend griff er ein weiteres Mal nach einem Hosenträger. Maja Schneider, las er, Astronautin. Ihr Hosenträger war mit Mond und Sternen geschmückt.

Sie griff nach seinem schwarzen Hosenträger. Dann sahen sie sich an und lächelten. Sehr erfreut, sagte Tim Müller, Erdölmagnat. Ja, sagte Maja Schneider, Astronautin. Dies versprach ein sehr nettes Treffen der deutschen Plakettenträgervereinigungssektion zu werden.