Sie kämpfen gegen etwas, das sie nicht besiegen können: Die Worte sind in der Welt
Stimmen für Asli
von Gerrit Wustmann
Die Schriftstellerin und Journalistin Aslı Erdoğan ist seit August 2016 inhaftiert. An dieser Stelle führen wöchentlich Freundinnen und Kollegen ihre Kolumne fort
Liebe Aslı,
sie haben Angst. Vor dem freien Wort. Es ist immer dasselbe. Immer sind es die Schriftsteller, die Dichter und Journalisten, die zuerst ins Fadenkreuz wild um sich schießender Despoten geraten. Der kritische Blick, das Hinterfragen, die Empathie sind ihre Feinde, vor denen sie sich am meisten fürchten.
„Mein Gedicht ist mein Messer“ schrieb einmal der deutsche Dichter Hans Bender. Das Wort ist die stärkste, zugleich die sanfteste Waffe, die es gibt. Ein Freund von mir wuchs in Iran auf. Zur Zeit der Islamischen Revolution war er ungefähr 20. Er durfte nicht studieren, weil er einmal wegen Mitgliedschaft in einer linken Gruppe verurteilt worden war. Schon unter dem Schah. Eine Ironie der Geschichte, dass so viele Linke damals Chomeini unterstützten, bis er sie dann reihenweise aufhängen oder erschießen ließ. Unter den ersten Dingen, die Chomeini nach 1979 verbieten ließ, waren Zeitungen und Bücher. Mein Freund versteckte Schwarzdrucke von Thomas Mann und Franz Kafka unter den Dielen seiner Wohnung in Teheran und las die Bücher nachts heimlich bei Kerzenschein. Als der Krieg ausbrach, flüchtete er nach Deutschland.
Es war ein beschwerlicher Weg über die Berge, im Winter. Die erste Station meines Freundes in Europa war Istanbul. Daran musste ich denken: Sein wertvollstes Gepäck waren ein paar Bücher, die er gerettet hatte. Er hat sie noch immer. „Die Bücher haben mich gerettet“, sagt er manchmal.
Sie sperren die Dichter ein, aber ihre Worte können sie nicht einsperren, nicht aus der Welt schaffen. Das ist es, was sie nie begreifen werden in ihrer blinden Zerstörungswut. Die Worte sind in der Welt. Die Gedichte, Romane, Zeitungsartikel. Das Gedicht ist auf der Straße, ist überall. Die Dichter sind es, die die Seele eines Landes ausmachen. Ein Land, das seine Dichter einsperrt, sperrt die eigene Seele aus.
Liebe Aslı, sie haben Angst, panische Angst. Vor dir, vor uns, vor dem Wort und der Freiheit. Sie kämpfen gegen etwas, das sie nicht besiegen können. Irgendwann ist ihre Zeit um. Aber das Wort, das sie aus der Welt schaffen wollten, wird noch da sein. Wird bleiben.
Wird bleiben.
Gerrit Wustmann wurde 1982 in Köln geboren. Er lebt dort und in Istanbul. Er ist freier Schriftsteller und Journalist. Seine lyrische Istanbul-Trilogie erscheint in Deutschland und der Türkei
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