Sie brauchen eine Portion elterliche Empathielosigkeit? Lesen Sie mal ein paar Online-Kommentare: Dein Kind wurde misshandelt? Selbst schuld
Nach Geburt
Jürn Kruse
Casting im Kinderladen: Da saßen wir auf sehr kleinen Stühlen vor einem sehr tiefen Tisch, an dem sonst Zwei- oder Dreijährige ihre Nudeln verputzen. Natürlich mit vegetarischer Soße. Denn es gebe hier nur vegetarisches Essen, sagte die Erzieherin. „Das ist gut“, antwortete ich, „wir essen zu Hause eh viel zu viel Fleisch.“ Ich lachte. Ich lache immer, wenn ich einen meiner lustigen Sprüche übertrieben gut finde. Eigentlich lache ich nach all meinen Scherzen.
Meine Freundin lachte nicht.
Wenn der Tisch nicht so absurd tief gewesen wäre, hätte sie ihren Kopf wohl draufgeschlagen. „Vermasselt der Idiot uns tatsächlich den einzigen halbwegs sicheren Platz für unsere Tochter“ oder so was Ähnliches wird sie gedacht haben. Und wahrscheinlich: „Warum lacht der Trottel auch noch?“
Gut, dass die Erzieherinnen nachsichtig mit mir waren. Vielleicht hatten sie aber auch einfach Mitleid mit meiner Freundin, oder sie dachten sich, dass unsere Tochter überall besser aufgehoben sein würde als bei diesem Vater zu Hause. Was der ihr wohl noch beibringen wird? Nicht auszudenken.
Die Kitaplatzsuche in Berlin ist nicht schön. Hier auf die eine Liste, dort auf die andere, Vorstellungsgespräche hier, Vorstellungsgespräche da. Klar, sind wir extrem pflegeleichte, aber auch engagierte Eltern – und wir wollen unser Kind natürlich unbedingt hier, in dieser pädagogisch äußerst wertvollen Einrichtung untergebracht wissen. Ich war so froh, als das vorbei war.
Und ich bin heute doppelt und dreifach froh, dass wir den Platz bekommen haben. Unser Kinderladen ist großartig. Zumindest glaube ich das. Ich vertraue den Erzieherinnen zumindest sehr.
Umso krasser fand ich die Berichte meines Kollegen Martin Kaul über die vermeintlichen Misshandlungen (und das Wegschauen) in einer Kita in Prenzlauer Berg. Welch unfassbarer Vertrauensbruch! Wie viele Eltern, die sich einst ebenso um diesen Kitaplatz rissen, sich jetzt wohl Vorwürfe machen, weil sie die Zeichen ihrer einjährigen Kinder nicht richtig zu deuten wussten?
Nur gut, andere Eltern solidarisch hinter sich zu wissen. Schließlich geht es hier ja um schwere Vorwürfe, und da müssen doch alle ideologischen Gräben … nein, so läuft das natürlich nicht.
Wir sind hier schließlich im Internet. Fast schon genüsslich kommentieren andere Eltern bei Facebook, wie sehr sie der Artikel darin bestätigt habe, ihr Kind nicht „fremdbetreuen“ zu lassen. Da ist dann von „Entsorgung“ der Kinder die Rede. Oder es kommt – auch schön – der Hinweis, dass, wer es sich nicht leisten könne, sein Kind drei Jahre selbst zu betreuen, halt keine Kinder bekommen sollte. Punkt.
Herzlichen Glückwunsch! Und Danke für eure Kommentare! Ihr habt damit alle meine Zweifel, die sich kurz nach all den Misshandlungsschilderungen zwangsläufig in mein Hirn schlichen, schlagartig zerstreut. Ich entsorge mein Kind jetzt noch lieber als vorher in unserem Kinderladen. Ja, das mache ich einerseits, weil ich ein Rabenvater bin (siehe oben).
Aber andererseits auch, weil ich weiß, dass ihr da nicht seid.
Freitag
Franziska Seyboldt
Psycho↓
Montag
Kefah Ali Deeb
Nachbarn↓
Dienstag
Sonja Vogel
German Angst↓
Mittwoch
Svenja Bednarczyk
Nullen und Einsen↓
Donnerstag
Ambros Waibel
Mittelalter
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