Sicherheit bei den Olympischen Spielen: Kapuzen unter Generalverdacht
Während der Spiele nehmen Durchsuchungen in Londons Straßen zu. Die Betroffenen, meist jung, männlich und im Kapuzenpulli, fühlen sich unter Generalverdacht.
LONDON taz | Olympia könne die soziale Lage Londoner Jugendlicher verbessern, sagte Londons Bürgermeister Boris Johnson in einem BBC-Radiointerview mit der Nachrichtensendung „Today“. Auf die Frage, was er seit den schweren Unruhen vor genau einem Jahr getan hätte, erwähnte er neben 67.000 zusätzlichen praxisorientierten Lehrstellen auch ein neues Programm, das Jugendliche dem Sport näherbringen soll.
Er nannte die „Kultur der schnellen Befriedigung“ als eines der Hauptprobleme vor einem Jahr und behauptete, dass das Verstehen olympischer Werte das ändern könne. Da fragte ihn BBC-Journalist Evan Davis, ob dies auch für Banker gelte. „Natürlich, natürlich“, antwortete da schnell Boris Johnson.
Es sind aber nicht Banker, die derzeit verschärft von Londons Polizei kontrolliert werden. „Stop and Search“ heißt die Maßnahme, die es Polizisten bei generellem Verdacht auf Waffenbesitz oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung erlaubt, Personen ohne konkreten Grund anzuhalten und zu durchsuchen.
Nach Aussagen der offiziellen Kommission für Gleichberechtigung und Menschenrechte (EHRC) werden dabei Menschen dunklerer Hautfarbe 26-mal öfter durchsucht als die, die als weiß gelten. Nur 3 Prozent der Durchsuchungen führen zu Festnahmen.
Somalischstämmige Briten besonders im Visier
Somalischstämmige Briten in Bloomsbury und Camden, alles Jungs zwischen 13 und 18 Jahren, erzählen, seit Beginn der Olympischen Spiele habe sich „Stop and Search“ deutlich intensiviert. „Wir werden seit Neuestem nicht einmal oder ein paar Mal pro Woche, sondern sogar zwei- bis viermal pro Tag angehalten und durchsucht. Wir wollen hier eigentlich nur Fußball spielen“, behauptet der Älteste der Gruppe mit umgedrehtem Baseballcap. So richtig nimmt man ihm das nicht ab.
Ein anderer findet, dass die Polizei Vorurteile hege. Auch eine Gruppe von Jugendlichen mit Abstammung aus Bangladesch bestätigt, dass die Polizei sie besonders oft anhalte, befrage und durchsuche. „Einen von uns, der war echt dumm, den haben sie heute mit auf die Wache genommen, weil er ihnen seine Adresse nicht sagen wollte.“ Personalausweise gibt es in Großbritannien nicht.
Eine andere Gruppe sitzt eingepfercht zu sechst in einem kleinen VW Golf. Sie sagen, in Ostlondon sei es genauso. „Seit Olympia können wir gar nicht mehr da hin, ohne dass man uns durchsucht“, erzählt einer. Ein junger karibischstämmiger Brite mit Kampfhund sagt, ihn hätten sie auch viel öfter angehalten. Auch Jugendliche europäischen Aussehens treffe das – „Leute, die Hoodies sind“, also Träger von Kapuzenjacken.
Sozialarbeiter Steve, der selber als Kind einer westafrikanischen Familie in London aufgewachsen ist, kennt das Problem. „Stop und Search“ sei eine Taktik der Einschüchterung. Man wolle damit Jugendlichen Angst einjagen und ihnen deutlich machen, man wisse, was sie tun und wo sie sich herumtreiben.
Eher Waffen als Drogen
Nach Aussagen der Metropolitan Police werden diese Maßnahmen seit diesem Jahr verschärft gegen potenzielle Gewalttäter eingesetzt – eine Konsequenz der Riots vor einem Jahr. Nicht bestätigen konnte sie eine lokal erhöhte Anwendung. Allerdings bemühe man sich, eher nach Waffen zu suchen und weniger nach Drogen.
Dennoch schafft es Olympia, zumindest die somalischstämmigen Jugendlichen zu bewegen. Als im Gespräch der Name des somalischstämmigen 10.000-Meter-Goldmedaillengewinners aus London, Mo Farah, fällt, wirkt es auf sie wie eine Geste der Respektbezeugung, sie fühlen sich ganz besonders geehrt. Irgendwo hat auch Boris Johnson mal recht.
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