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Short Stories from AmericaAm besten direkt in eines von Clintons Teams

■ Wer die Fürsorgereform nicht versteht braucht Szenenwechsel oder einen frischen Blick. Oder aber einfach einen neuen Job

In Amerika scheint die Sommersonne, und in der Regierung steht alles zum Besten. Wie in diesen Zeilen üblich, bin ich mit dem Lande völlig zufrieden und war höchst erstaunt, als ich letzte Woche lesen mußte, Jason DeParle, ein Reporter der New York Times, komme mit Clintons Fürsorgereform nicht zurecht. Er schrieb einen langen Artikel darüber. Ich verstehe überhaupt nicht, worüber DeParle sich eigentlich aufregt.

Während seines Wahlkampfes versprach Clinton, „Schluß zu machen mit der Fürsorge, wie wir sie kennen“: die Fürsorgeempfänger sollten zwei Jahre lang Hilfe erhalten und müßten danach wieder arbeiten. Derzeit werden 14,3 Millionen Amerikaner von der Regierung unterstützt, meistens Frauen mit kleinen Kindern. Manche Leute bemerken da einen Widerspruch: Wenn diese Frauen arbeiten, wird ihnen vorgeworfen, sie würden ihre Kinder vernachlässigen und wären damit für die Gewalt der Jugendlichen verantwortlich; aber wenn sie daheim bleiben, kriegen sie ihr Fett, weil sie der Wirtschaft zur Last fallen. Aber den meisten fiel das nicht weiter auf, und jetzt ist das Zweijahresversprechen in den Kongreß gegangen und soll verabschiedet werden. DeParle hat anscheinend herausgefunden, daß das berühmte Versprechen während des Präsidentschaftswahlkampfes durch einen Telefonanruf bei den Umfrageleuten ausgelöst wurde – die sagten nämlich, das Thema Fürsorge „käme bei den Wählern an“. DeParle hält das für gefühllos. Ich nenne das einen Finger am Puls der Nation haben. DeParle muß überempfindlich sein; er braucht mal eine Pause.

Während die Zahl der Fürsorgeempfänger seit Ende der sechziger Jahre konstant geblieben war, ist sie seit der Rezession von 1989 um 25 Prozent gestiegen. Die Einzelstaaten, die durch die Zunahme der Fürsorgeempfänger (ohne entsprechende Steigerung der Bundeszuschüsse) überlastet sind, haben die Zahlungen so scharf beschnitten, daß Familien, die keine Miete mehr zahlen konnten, sich in Obdachlosenunterkünften wiederfanden. So kam Bruce Reed, einer von Clintons Wahlkampfmitarbeitern, zu dem Schluß, die Antwort müsse in einer weiteren Kürzung der Bundesmittel liegen – entdeckte jedenfalls der leicht erregbare Mr. DeParle. Reed kriegte einen Artikel in die Hände, den der Harvard-Professor David Ellwood geschrieben hatte, auf der Grundlage von seinem Buch „Poor Support“ aus dem Jahre 1988. Ellwood schlug ein breites Programm gegen die Armut vor, einschließlich eines höheren Mindestlohns und Steuerstundungen für die arbeitenden Armen, dazu eine von der Regierung subventionierte Kinderbetreuung, allgemeine Krankenversicherung und eine von der Regierung garantierte Unterstützung für alleinstehende Mütter, wobei die Regierung die Mütter bezahlen würde, wenn sie von verschwundenen Vätern keine Unterhaltszahlungen erhalten könnten. Mit solchen Programmen, schrieb Ellwood, könnte die Regierung für die Fürsorgezahlungen eine Grenze von 18 bis 36 Monaten einführen. Reed nahm den mittleren Wert – 24 Monate – und fügte ihn in eine Wahlkampfrede Clintons ein, der kurz darauf das berühmte Zweijahresversprechen verkündete und Reed einen Job gab, um an der Fürsorgereform zu arbeiten.

Höhere Mitarbeiter im Wahlkampf berichten, daß Clinton auch das vollständige Ellwood- Programm las und mochte. Ellwood nannte die Garantie für die Unterhaltszahlungen den „wichtigsten Einzelpunkt“ – die Zeitbeschränkung wollte er als eine Maßnahme verstanden wissen, die man „irgendwann zum Schluß durchführen“ könne. Aber die neu erstehende Regierung marschierte, wie DeParle schrieb, „bereits in die entgegengesetzte Richtung“, und als auch Ellwood einen Job in Clintons Fürsorgereformteam erhielt, war er mit der Zeitgrenze einverstanden, die er sechs Monate früher noch abgelehnt hatte. „Ich trug einen anderen Hut“, sagte Ellwood, inzwischen stellvertretender Gesundheitsminister. „Jetzt arbeite ich für den Präsidenten.“ DeParle nennt Ellwoods Meinungsänderung opportunistisch. Ich sehe darin einen der notwendigen Kompromisse, wie sie bei der Arbeit an Gesetzen nun einmal notwendig werden. DeParle verliert den Überblick: vermutlich braucht er einen Szenenwechsel.

Im April 1994 wollten sich einige republikanische Senatoren, geführt von dem Möchtegern- Präsidenten Jack Kemp, bei den Fürsorgekürzungen nicht von einem demokratischen Präsidenten übertreffen lassen. Sie schlugen nun ihrerseits vor, die Regierung solle allen alleinstehenden Müttern unter 21 jede Hilfe verweigern, und wer von ihnen ihre Kinder nicht unterhalten könne, solle sie halt in Waisenhäuser stecken. Im Mai schlug eine Gruppe von Demokraten – die sich von Republikanern nicht übertreffen lassen mochten – eine noch schärfere Zeitgrenze als Clinton vor.

Das Gesetz, das Clinton schließlich dem Kongreß vorlegte, enthielt dann die Zweijahresgrenze, aber keinerlei Garantie für Unterhaltszahlungen; es gestattet den Einzelstaaten, Frauen mit zusätzlichen Kindern eine Erhöhung der Unterstützung zu verweigern; und es beschnitt das Arbeitsprogramm der Regierung, das arbeitslosen Fürsorgeempfängern Arbeitsplätze verschaffen sollte. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, daß eine Frau mit kleinen Kindern ohne Arbeit und Unterstützung dasteht. Das Clinton-Gesetz bietet Mittel für die Ausbildung, Kinderbetreuung und Steuerstundungen für die arbeitenden Armen – wenn die Regierung auch zugibt, daß in der derzeitigen Wirtschaft bis zu 2,3 Millionen Familien gar keine Arbeit finden dürften. Clinton prüfte zwar Pläne, für das neue Programm in fünf Jahren 16 Milliarden Dollar auszugeben, beschied sich aber schließlich mit 9,3 Milliarden. Wo Ellwoods ursprünglicher Plan schon einen Teilzeitarbeiter über die Armutsgrenze hieven wollte, beläßt der derzeitige Gesetzentwurf eine durchschnittliche Mutter von drei Kindern bei 4.000 Dollar unter der Armutsgrenze. In einem Interview gab Ellwood zu, daß sich sein Plan ein bißchen verändert hätte, aber er sagte, er sei „wirklich stolz auf das, was wir geschafft haben“. DeParle hält das für unaufrichtig. Ich sehe darin einen Hinweis auf notwendigen Teamgeist. DeParle hat sich in den Details verloren. Er braucht einen frischen Blick auf die Dinge.

Die letzte Hürde für den Clinton-Plan war die Finanzierung. Als Clintons Büro die Steuerfreibeträge der Reichen beschränken wollte, heulte die Versicherungsbranche auf. Als sein Büro von einer Glücksspielsteuer sprach, explodierten die Kongreßabgeordneten aus Nevada (wo Las Vegas liegt). Das Fürsorgereformteam schlug vor, man solle die Mittel durch Besteuerung der Unterstützungszahlungen beschaffen. Als jemand darauf hinwies, daß das Reformteam den unterstützten Familien ja eigentlich helfen solle und sie außerdem gar nicht genug Geld verdienten, um besteuert zu werden, schlug das Reformteam vor, 250.000 Kinder aus derzeitigen Unterstützungsprogrammen zu nehmen, um so das Geld aufzubringen.

Schließlich beschloß Clinton, sein Fürsorgegesetz durch die Kürzung anderer Anti-Armutsprogramme zu finanzieren, darunter auch die Hilfe für (legale) Einwanderer und die Soforthilfe für Arme, die ihre Wohnungen verlieren.

DeParle findet das grotesk, weil die Regierung gleichzeitig mehr als eine Billion Dollar für das Militär ausgibt. Ich finde, sie folgt dem Willen des Volkes, genauso wie die Leute in der Versicherungs- und der Glücksspielbranche. DeParle, fürchte ich, hat die Kontrolle verloren. Er braucht einen Tempowechsel, einen neuen Job – vielleicht in einem von Clintons Teams. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning

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