Short Stories from America: Mieses Jahr für Männer
■ Die Zukunft der Selbstbefriedigung, der Männermangel, die Arbeitslosigkeit, die Verbrechensrate und die Krauts
Nach meiner inoffiziellen Umfrage unter amerikanischen Frauen – meinen Freundinnen – scheinen sich alle einig zu sein: 1995 war ein mieses Jahr für Männer. „Während der Feiertage ging ich zu einer Party nach der anderen“, sagt eine Freundin, die für die New York Times schreibt und ganz hübsch was zu bieten hat. „Die einzigen unverheirateten Männer waren Typen, mit denen ich schon vor 20 Jahren geschlafen habe.“ Ich wollte schon vorschlagen, sie sollte es mal mit Selbstunterhaltung versuchen, da nahm CompuServe alle Diskussionsforen aus dem Internet-Angebot, die etwas mit Sex zu tun hatten.
Aber jetzt kommt die gute Nachricht. CompuServe zog sein sexuelles Material zurück, weil ein deutscher Staatsanwalt behauptete, es verstoße gegen die deutsche Anti-Pornographie- Gesetzgebung. Die Geschichte eroberte die Titelseiten aller Zeitungen, und die Amerikaner fühlten sich sofort als bessere Menschen. Es gibt keine besseren Bösen als die Deutschen, besonders wenn sie ihrem Hang zum Autoritären frönen. Es macht nichts, daß der Staatsanwalt nur von Kinderpornos sprach und Verfahren nur gegen die Urheber in Aussicht stellte, die das Material ins Netz einspeisten. Es macht auch nichts, daß niemand CompuServe aufgefordert hatte, alle Erwachsenenerotik auf der ganzen Welt aus dem Angebot zu nehmen, und daß selbst der Münchner Staatsanwalt darüber verblüfft war. Die Worte „deutsch“ und „Zensur“ beherrschten die Nachrichten, so daß sich die Amerikaner wie Freiheitskämpfer vorkommen konnten. Sogar meine Freundin sagte: „Wenigstens waren diese Typen, mit denen ich geschlafen habe, keine Deutschen.“
Ich danke dir, Deutschland. du hast meine Freundin seelisch wieder aufgerichtet, und du hast die Nation von ihren vielen Problemen abgelenkt. Amerika schäumt viel lieber über Deutschlands Anschluß des Internet als über unsere immer noch wachsende Arbeitslosigkeit und die Lohnsenkungen. Löhne und Nebenleistungen stiegen 1995 um 2,7 Prozent, die niedrigste bekannte Steigerungsrate trotz wachsender Firmenprofite. Wie es in einer Überschrift der Times hieß: 1995 war ein „Rekordjahr der Profite, weniger der Mitarbeiter“. Wir würden eher Beck's Bier boykottieren, als gegen AT&T zu protestieren, die gerade einen 13prozentigen Personalabbau ankündigten, 40.000 Arbeitsplätze – trotz gewaltiger Profite. Seit 1989 sind inzwischen drei Millionen US-Arbeitsplätze abgebaut worden. Man sieht also, daß es so einiges gab, von dem Deutschland uns ablenken konnte, und dazu gehört auch unser eigenes Telekommunikations-Gesetz.
Laut diesem Gesetz ist im Internet nicht nur Kinderpornographie verboten, sondern jede „Unanständigkeit“, wenn nicht irgendein Mechanismus dafür sorgt, daß niemand unter 18 das lesen kann. „Unanständig“ ist ein breiter Begriff, der Kunst mit sexuellem Inhalt ebenso umfassen kann wie Material über Homosexualität oder Vorbeugung gegen Aids. Europäischen Lesern mag das schlimmer vorkommen als der Münchner Staatsanwalt, und vielleicht glauben sie, die Amerikaner sollten sich weniger über ihn als über ihr eigenes Gesetz aufregen.
Endlich ausatmen
Aber da wären sie gehörig im Irrtum. In einem Land, in dem Präsidentschaftskandidaten glauben, Filme seien für Sozialprobleme verantwortlich, ist das völlig vernünftig. In einem Land, in dem Fernsehsender nicht für Kondome werben, liegt es völlig im Rahmen. Wenn Teenager auf dem Fernseh- oder Computerbildschirm nichts von Kondomen hören, werden sie auch nicht an Sex denken.
Amerikanische Politiker sind so davon überzeugt, daß Filme für die realen Ereignisse in aller Welt verantwortlich sind, daß einige von ihnen sogar über Oliver Stones Film „Nixon“ herzogen. Auch viele Beiträge in der Presse bliesen in dieses Horn. Die Verfasser behaupteten, die Tatsachen würden falsch dargestellt, und damit beeinflusse der Film das Nixon-Bild junger Menschen und ihre Einstellung zur Politik. Selbst Charles Colson, ein Assistent Nixons im Weißen Haus, tauchte plötzlich aus der Versenkung auf und ließ in der Times einen Kommentar gegen die historischen Nachlässigkeiten des Films vom Stapel. In meiner informellen Umfrage sagten die Jugendlichen, Stone sei ein bekloppter Ex-Hippie, noch älter als ihre Eltern – völlig jenseits von Gut und Böse. Ich aber sage: Irgend etwas muß dran sein an einem Film, den Colson haßt – der steckte bis über die Ellbogen in Nixons Schmutz, vom Vietnamkrieg ganz zu schweigen.
Eine Woche nach der „Nixon“-Premiere schalteten Journalisten und Schriftsteller auf den neuesten Kinokassenerfolg um: „Waiting to Exhale“. Über das Liebesleben von vier schwarzen berufstätigen Frauen – der Film lief sogar noch besser als der diesjährige Weihnachtsknüller „Toy Story“. Viele Reporter sagten, die Zuschauer fänden „Exhale“ gut, weil das Leben erwachsener schwarzer Frauen genau wiedergegeben werde, besonders ihre Unzufriedenheit mit den Männern. Am nächsten Tag schrieb die schwarze Schriftstellerin Bell Hooks in der Times, sie hasse den Film, weil er Frauen darstelle, als hätten sie keine anderen Probleme als ihre Unzufriedenheit mit den Männern.
Ich jedenfalls bin unzufrieden mit den Männern, und das gilt auch für meine Freundin, die so viele Liebhaber hatte – vor 20 Jahren. Es hat etwas mit den Verbrecherzahlen zu tun. Die sind schon wieder gesunken. Allein in der ersten Jahreshälfte 1995 erlebte New York eine 16prozentige Abnahme der Gewaltverbrechen, die auffallendste Senkung in 23 Jahren – im Einklang mit einem seit vier Jahren anhaltenden Trend. Unter den amerikanischen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern liegt New York jetzt an 132. Stelle. So wie ich das sehe, werden die meisten Verbrechen von Männern begangen. Weniger Verbrechen kann nur eines bedeuten: weniger Männer. Kein Wunder, daß 1995 ein so mieses Jahr war. Vergeßt das Internet, das Fernsehen und das Kino. Meine Freundin und ich werden uns jetzt um die Hebung der Verbrechenszahlen kümmern, damit das Leben wenigstens ein bißchen bunter wird. Marcia Pally
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