Sexuelle Belästigung beim WDR: Schwanz eingezogen
Alles nur Missverständnisse? Der Ex-WDR-Fernsehspielchef Gebhard Henke zieht seine Klage gegen Charlotte Roche und den „Spiegel“ zurück.
Die Wende in dem Fall brachte laut Spiegel neues, vom Anwalt Roches am Montag vorgelegtes Beweismaterial. Sieben weitere Frauen werfen darin Henke vor, sie sexuell belästigt zu haben – unter Angabe ihres vollen Namens. Die Unterlagen liegen dem Spiegel laut eigener Aussage vor, es handle sich um prominente Persönlichkeiten aus der Fernsehbranche.
Die im April 2018 gegen Henke erhobenen Vorwürfe beziehen sich auf einen Zeitraum von 1990 bis 2015. Von sechs Frauen gingen damals die Schauspielerin Nina Petri und Charlotte Roche mit ihrem Namen an die Öffentlichkeit. In einem Interview mit Spiegel online sagt Charlotte Roche jetzt, sie wisse von „25 weiteren Frauen, die er belästigt haben soll.“
Fahrt nahm die Sache nicht nur durch die Kündigung seitens des WDR und die Vorwärtsverteidigung Henkes und seines Anwalts in einem Interview mit der Zeit auf; in einem Offenen Brief hatten sich zudem 16 Unterzeichnerinnen aus der deutschen Filmbranche hinter Henke gestellt. In dem von der Agentin Heike-Melba Fendel initiierten Schreiben hieß es, dass man in der Vergangenheit persönlich mit Gebhard Henke zusammengearbeitet habe, was durchaus nicht ohne Konflikte und Machtkämpfe geschehen sei. „Auch nicht frei von unterschiedlichen Auffassungen über Männer- und Frauenbilder. Immer jedoch frei von Übergriffen jedweder Art und Schwere.“
100.000 Euro für den Ehrenmann
Die „Dreistigkeit“ Henkes und wie er „massiv mit Lügen gegen mich und auch gegen den Spiegel“ vorgegangen sei, erklärt sich wohl auch aus diesem Persilschein. Auch der WDR, sagt Roche im Interview, habe keine gute Figur gemacht. Sie und viele andere Frauen seien sehr enttäuscht gewesen, dass in der außergerichtlichen Einigung mit Henke nicht festgehalten worden sei, dass er die Vorwürfe erhebenden Frauen nicht rechtlich belangen dürfe. Vom Spiegel hatte Henke 100.000 Euro Entschädigung verlangt sowie von dem Nachrichtenmagzin wie von Roche gefordert, die Vorwürfe nicht zu wiederholen.
Als Reaktion auf den Fall Henke sowie die Vorwürfe gegen einen langjährigen WDR-Korrespondenten hatte die ehemalige DGB-Vorsitzende und EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies im vergangenen Jahr drei Monate lang geprüft, wie der WDR seit den 1990er Jahren mit den Hinweisen auf sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen umgegangen ist.
Defizite sah Wulf-Mathies vor allem bei den personellen Rahmenbedingungen. Ein starkes Machtgefälle bestehe nicht nur zwischen Führungsebenen und Beschäftigten, sondern auch zwischen Beschäftigten und freien MitarbeiterInnen. Das schaffe Abhängigkeiten und sei Nährboden für Machtmissbrauch. Gleichzeitig fehle ein wertschätzendes und respektvolles Betriebsklima.
Henke selbst ließ inzwischen via Anwalt und Zeit Online mitteilen, er sei „zu der Überzeugung gelangt, dass eine juristische Auseinandersetzung nicht der richtige Weg ist, um sich mit der Thematik und den Vorwürfen auseinanderzusetzen. Da nicht anonyme, sondern konkrete Vorwürfe von Frauen vorliegen, so will er sich damit auseinandersetzen, Missverständnisse ausräumen und sich, wenn ein unangemessenes Verhalten vorgelegen haben sollte, in aller Form entschuldigen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen