Sexualisierter Missbrauch: Empörung über geplantes Ende des Missbrauchsfonds
Bundesfamilienministerium will Fonds für Betroffene sexualisierter Gewalt einstellen. Missbrauchsbeauftragte fordert ein rechtssicheres Nachfolgemodell.

Der Fonds Sexueller Missbrauch ist eine zentrale Anlaufstelle für Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt erlitten haben. Für viele Betroffene kommen gesetzliche Hilfen zum Beispiel durch das Opferentschädigungsgesetz etwa aufgrund mangelnder Beweise nicht in Frage. Über das ergänzende Hilfesystem können Betroffene jedoch Unterstützung beantragen, die niedrigschwellig und individuell auf sie zugeschnitten ist.
So können beispielsweise Therapiestunden oder Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen finanziert werden. Oft erhalten Betroffene außerdem finanzielle Unterstützung beim Umzug, wenn sie den Ort verlassen möchten, an dem sie sexualisierte Gewalt erfahren haben. Seit seiner Gründung 2013 hat der Fonds Sexueller Missbrauch über 33.500 Betroffene unterstützt.
Mit den neuen Richtlinien können Erstanträge nur noch bis zum 31. August 2025 gestellt werden. Leistungsbewilligungen werden noch bis Ende des Jahres ausgestellt. Auszahlungen für Betroffene soll es noch bis Ende 2028 geben. Allerdings hält Claus bereits die finanzielle Deckung aller Leistungen bis zu diesem Zeitpunkt für unsicher. Hinzu kommt, dass Vorauszahlungen durch den Fonds ab sofort nicht mehr möglich sind. Antragstellende müssen demnach selbst in Vorleistung gehen, was einen großen Anteil der Betroffenen von der Unterstützung ausschließt. Auch für bereits bewilligte Leistungen müssen Betroffene selbst in Vorleistung gehen.
Debatte über ein alternatives Modell unmöglich gemacht
Dass der Fonds Sexueller Missbrauch nicht vom Bundeshaushalt gedeckt ist, hatte der Bundesrechnungshof bereits im Frühjahr 2024 festgestellt und das Bundesfamilienministerium zum Handeln aufgefordert. Das Bundesfamilienministerium erließ daraufhin die neuen Richtlinien – zunächst allerdings ohne die Bundesbeauftragte Claus und den Fonds selbst darüber in Kenntnis zu setzen.
Claus sagte am Freitag, sie sei vor kurzem schließlich vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Dies habe eine Debatte über ein alternatives Modell unmöglich gemacht. Tamara Luding vom Betroffenenrat sagte, die fehlende Kommunikation sei „ein Skandal“. Fachberatungsstellen könnten Betroffenen zurzeit keine klare Auskunft über die Zukunft des Hilfsangebots machen. Dadurch ginge das Vertrauen in Beratungsstrukturen verloren, so Luding.
Claus fordert nun die Aufnahme eines rechtssicheren Nachfolgemodells in den Koalitionsvertrag. Die künftige Regierung dürfe sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Matthias Katsch von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs stellte klar: „Der Staat trägt die Verantwortung dafür, dass Menschen in Kindheit und Jugend ausreichend vor sexualisierter Gewalt geschützt werden. Er hat dabei in vielen Fällen versagt.“ Das ergänzende Hilfesystem sei „absolut notwendig“ und müsse „nicht abgewickelt, sondern weiterentwickelt werden“, so Katsch.
Claus besteht zudem auf einer Folgekostenstudie zu sexualisierter Gewalt. Sie weist darauf hin, dass die Kosten für die Finanzierung des Fonds nicht im Verhältnis zu den Folgekosten sexualisierter Gewalt stünden. Fehlende Unterstützung führe für viele Betroffene zu Arbeitsunfähigkeit. Ein ergänzendes Hilfesystem sei auch eine Investition, um deutlich höhere Kosten, zum Beispiel für den Bezug von Sozialleistungen, zu vermeiden.
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