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Sex s(m)ells

■ Riecht streng, sichert aber vier Kriegsteilnehmern die Rente: Die große Selbstverramschungstour der Sex Pistols ist nicht mehr aufzuhalten

Man möge sich vorstellen, wie ein werbeagenturgeschulter Düsseldorfer Dudelfunk-Programmchef bei der Suche nach der geeigneten Euro-96-Melodie ein leidlich bekanntes gelbrosa Plattencover aus der teuren Regalwand holt und sich an die Zeit erinnert fühlt, als er mit Zuckerwasser in den Haaren im Ratinger Hof herumstand, um sich mit Zigarettenkippen Löcher ins T-Shirt zu brennen. Es muß so gewesen sein, denn auf einer Autofahrt durchs Ruhrgebiet hörte ich unlängst, wie ein Düsseldorfer Privatsender für seine Berichterstattung von der Fußball-Europameisterschaft als Trailer ausgerechnet die Zeile „God save the Queen“ aus dem Sex-Pistols-Song „Anarchy in the U. K.“ einsetzte, natürlich ohne die Folgezeile „... the fascist regime“. „Was heißt hier Verrat?“ würde dieser Programmchef wahrscheinlich jeden Vorwurf zurückweisen, „Sid Vicious und Jürgen Klinsmann! Ist doch eine witzige Idee. Und überhaupt, worum geht es denn letztlich?“

Ums Geldverdienen natürlich. Als hätten John Lydon, Steve Jones, Paul Cook und Glen Matlock diesem Geist Tribut zollen wollen, haben die vier gestandenen Herren, die weiland 1975 unter Anleitung von Malcolm McLaren die Sex Pistols ins Leben riefen, ihre Reunion-Tour weder „Comeback“- noch „Punk 96“- noch „Still Bollocking“-, sondern „Filthy Lucre“-Tour genannt, Konzertreise des schnöden Mammons. Eigentlich erfüllt diese Reunion auch gar nicht so richtig den Tatbestand des Verrats. Denn „Never Mind the Bollocks – Here's the Sex Pistols“ war weniger ein Protestruf als vielmehr ein provokant gegen die Gediegenheit des 70er-Rock gerichteter Werbeslogan, der das einzige reguläre Album der Band im November 1977 von Null auf Platz eins der britischen Billboard Charts hochschießen ließ, bevor überhaupt irgendein Kritiker die Chance hatte, es mit einer Besprechung zu bewerben. Es folgten ein paar Singles, ein Film plus Soundtrack mit dem programmatischen Titel „The Great Rock'n'Roll Swindle“, ein Nachlaßalbum, dessen müder Inhalt durch den Titel „Flogging A Dead Horse“ geradezu dreist nach außen gekehrt wurde und das Interview-Album „Some Product“, auf dessen Cover fiktive Fanartikel wie der „Vicious-Burger“ oder die „Rotten- Schokolade“ drapiert wurden. Eine Corporate identity der offensiven Selbstbeschimpfung, die den musikalischen Verfall der Band korrekt wiedergab und gleichzeitig eine Ästhetik des Verramschens reflektierte, die den Produktcharakter von Popmusik grell offenlegen sollte: Ihr werdet euer ganzes Leben lang über den Tisch gezogen, wir machen aus diesem Lebensgefühl eine Billigware.

Die Desillusioniertheit ist wahrscheinlich die einzige Authentizität, die die Sex Pistols für sich beanspruchen konnten, und derjenige, der es in dieser Kunst am weitesten gebracht hatte, ist bei der Reunion bekanntlich verhindert. Sid Vicious, am 2. Februar 1979 mit 21 Jahren an einer Überdosis Heroin gestorben, als er in New York auf Kaution dem Prozeß wegen Mordes an seiner Freundin Nancy Spungen entgegensah. Vicious, der auf dem Baß weder die sprichwörtlichen drei, noch überhaupt einen Akkord spielen konnte, lag während der Aufnahmen zu „Never Mind The Bollocks“ mit Gelbsucht im Krankenhaus, sein Hakenkreuz-T-Shirt empfinden seine Ex- Mitmusiker heute als „etwas über das Ziel hinausgeschossen“. Ein verständlicher Standpunkt für Vierzigjährige, die sich zur Zeit darüber den Kopf zerbrechen müssen, wie sie sich auf teuren Open airs am geschmackvollsten zum Affen machen.

„The last laugh“, antwortet Glen Matlock, der anno 77 geschaßte beziehungsweise ausgestiegene Bassist und Co-Komponist der meisten Hits, auf die Frage, ob er so etwas wie späte Genugtuung über den Wiedereinstieg empfinde. Es mag schon sein, daß Matlocks gemütlicher Zynismus der Linie der Sex Pistols, den Rock 'n' Roll mit seinem Wahn von Authentizität und Befreiung unter gröbstem Marktgeschrei zu Grabe zu tragen, besser entspricht als ein authentisch abgefuckter Sid Vicious. Aber 20 Jahre danach ist die Koketterie mit dieser Abgefucktheit vom provokanten Spaß längst zum müden Mainstream-Kalauer geworden, zu Tode geritten von Stadionrock-Punks wie den Toten Hosen, die ihre letzten drei Alben „Kauf mich!“, „Reich & Sexy“ und „Opium fürs Volk“ nannten. Im besten Falle ist zu hoffen, daß es unterhaltsam skurril wirkt, wenn Lydon & Co. die Songs von „Never Mind the Bollocks“ heute einem Publikum vorspielen, das mit Nirvanas „Nevermind“ groß geworden ist. Christoph Twickel

Tourdaten: 22.6. München/Reitstadion Riem, 29.6. Hamburg/ Trabrennbahn Bahrenfeld, 6.7. Berlin Arena, 13.7. Ochtrup (bei Münster) Festivalgelände. Alle Auftritte finden im Rahmen der „Helter Skelter“-Open-air-Festivals statt.

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