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Sex, Lügen und ein Bild​ von RembrandtDie Verschwörung der Malerei

Von einer Lüge, vom Akt des Verbergens und von der Malerei selbst erzählt uns Rembrandts Bild „Joseph und die Frau des Potiphar“.

Selten gemaltes Motiv: „Joseph und die Frau des Potiphar“ entstand im Jahr 1655 (Ausschnitt) Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie/Christoph Schmid

Von allen Seiten umfängt Dunkelheit die Protagonisten des mittelgroßen Gemäldes von 1655, das „Joseph und die Frau des Potiphar“ betitelt ist. Unsere Augen werden von Potiphars Frau angezogen, die auf einer Ecke ihres Betts sitzt, von fühlbaren Farbschichten illuminiert. Mit einer Hand berührt sie ihre Brust, die zum Teil von einer rötlichen, opulenten Robe verhüllt wird.

Ihre andere Hand ist in Richtung des Betrachters außerhalb des Bildes ausgestreckt und vollführt eine energische Geste, die zugleich einladend und bedrohlich wirkt. Sie scheint eine Geschichte zu erzählen und eine Gebärde der Verführung zu imitieren.

Aber weder die Frauenfigur in ihrem Gewand, in ihrer fleischlichen Sinnlichkeit und mit ihrem absichtsvollem Ausdruck befindet sich im Zentrum dieses Bilds, noch tun dies ihre leicht verwischten, dunklen Begleiter – ihr Mann Potiphar mit verziertem Turban zu ihrer Linken und der sich verbeugende Joseph zu ihrer Rechten, der seine scheinbar unvollendete Handfläche dem Paar entgegenstreckt, als ob er Nein sagen wollte.

Potiphars gemachtes Bett, mit einem weißem Laken bedeckt, ein strahlend schimmernder Farbfleck, der beinahe abstrakt erscheint, ist der Kulminationspunkt dieses Dramas: Tatort eines Verbrechens, das nicht begangen wurde.

Sex, Lügen und ein Bild

Wie bei Rembrandts Gemälde „Susanna und die beiden Alten“ aus dem Jahr 1647, das in der Gemäldegalerie an der gegenüber liegenden Wand hängt, wird auch hier von einer Verleumdung, einer Verschwörung und einer Lüge über ein sexuelles Ereignis erzählt, das nicht stattgefunden hat. In beiden Bildern nimmt dieses Ereignis, um das sich die Darstellung dreht, die Form einer Leerstelle an.

Als sie ihn zu zwingen versucht, sich zu ihr ins Bett zu legen, flieht er nach draußen

Ikonografisch betrachtet, ist die Szene, in der Potiphars Frau ihren Diener Joseph zu verführen sucht, ein weit weniger populärer Topos als „Susanna“. Als calvinistischer Bibelleser wählte Rembrandt in seiner Werkstatt eigenwillig ausgefallene biblische Szenen, von denen einige nur selten zuvor abgebildet worden waren, als Rahmen für einige seiner Bilder aus.

Josephs Kittel

Die biblische Geschichte erzählt uns davon, wie die Frau eines wohlhabenden Mannes (Potiphar) den hübschen hebräischen ­Diener zu verführen sucht, der von seinen neidischen Brüdern verkauft worden war und dann in ihren Haushalt aufgenommen wurde und Segen über das Haus brachte.

Als sie ihn zu zwingen versucht, sich zu ihr ins Bett zu legen, flieht er nach draußen. Sie hat ihn in seine Kleider gegriffen, wie es in der Bibel heißt, nun lässt er seinen Kittel in ihren Händen zurück. Er dient Potiphars Frau nun als Beweis für das Ereignis, das nicht stattgefunden hat. Als Potiphar nach Hause zurückkehrt, zeigt sie ihm Josephs Kittel und beschuldigt Joseph, sie vergewaltigt zu haben. Joseph wird ins Gefängnis geworfen.

Die Scham wird zum Objekt des Bildes

Die Figuren der Susanna und der Frau Potiphars verkörpern Handlungen des Ent- und Bekleidens. Susanna wird nackt vorgefunden, ihr Körper vor Scham gebeugt. Die biblische Szene der Susanna im Bad wurde in der Malerei oft als Gelegenheit betrachtet, eine bloßgestellte nackte Frauenfigur darzustellen.

Rembrandt machte bei allen von ihm gemalten Variationen die entkleidete Frau und die damit verbundene Scham zum Objekt des Bildes, also den Betrachter zum Zeugen der Verlegenheit. Potiphars Frau dagegen zieht in einer Umkehrung des Motivs den jungen Mann aus, der sich ihr entzieht. Auf Rembrandts Bild ruhen ihre Füße auf seinem zerrissenen Kittel.

Der Akt des Verbergens

Beide Frauen berühren sich auf beiden Bildern selbst. Potiphars Frau tut es auf thea­tralische Weise und mit einem Ausdruck verletzten Stolzes. Diese Berührung ist aber mehr als scheinheilig vorgespielte Entrüstung. Diese Berührung scheint einen Kreis zu schließen, als ob sich in ihr das Gemälde selbst berührt.

Halb angezogen, halb entblößt offenbart Potiphars Frau die Lüge und das Geheimnis, den Akt des Verbergens, das Gemälde selbst. Was wir sehen, ist das Erscheinen des Verbergens, das untrennbar zum Sichtbaren gehört. Ihre Intrige ist die Verschwörung der Malerei.

Tücher, Vorhänge, Schleier

Vielleicht sind deswegen viel seltener nackte Körper auf Rembrandts Bildern zu sehen als etwa bei den vergleichbaren Malern Tizian oder Rubens. Seine Bilder sind voller Kleider, sind fast aus ihnen gemacht, aus Tüchern, Vorhängen, Schleiern und Roben, die ihre Protagonisten in opulente Schichten von Fasern und Farbschichten einhüllen und den nackten Körper verschleiern.

So werden die Körper der Männer und Frauen zu einer prekären Schöpfung, die nie dauerhaft ist, als ob sich ein Vorhang hebt und wieder fällt. Mit der Leinwand alliiert, auf die sie gemalt wurden, werden die Figuren und Objekte auf Rembrandts Gemälden vor einer anatomischen, optischen Beschreibbarkeit geschützt, deren Gewalt Rembrandt in seinem Bild „Die Anatomie des Dr. Tulp“ betont.

Dort zeigt er uns das wissenschaftliche Sezieren als Vorgang, in dem die Vorstellung des Leibs zugunsten eines toten Körpers aufgegeben wird, im Dienst der cartesianischen Trennung von Körper und Geist.

Die ­Malerei gegen das Bild wenden

Rembrandts aufgeladener Pinselstrich wendet die ­Malerei gegen das Bild, das ist sein radikaler Schritt. Er überträgt die Anziehungskraft des Gemäldes, seine Erfahrung aus der geometrischen Reproduktion eines illusorischen Raums gemäß den perspektivischen Regeln der Renaissance auf die Oberfläche des Gemäldes.

Das ist der Grund, warum fast jeder moderne Maler (Turner, Delacroix, van Gogh, aber auch von Chaim Soutine bis Frank Auerbach und vielleicht sogar Bacon) „sich selbst für Rembrandt hielt“, wie Picasso seiner Liebhaberin Françoise Gilot sagte. Das war der Beginn der modernen Malerei.

Die Farbe ist jünger als das Bild

Die dichte Dunkelheit des Gemäldes verschluckt den Baldachin des Betts und ungefähr zwei Drittel der Oberfläche des Bildes, auf dem nur sporadisch glitzernde Spuren von goldenen Gewändern und Ornamenten aus Metall aufscheinen. Diese sind mit dicken Pinselstrichen gemalt, die beinahe absichtlich den Pinselstrich als solchen hervorheben.

Innerhalb des dunklen Raums wurden Pigmente gefunden, die als Preußischblau identifiziert wurden, das erste moderne synthetische Pigment. Es bleicht nicht aus und wurde bald zu einem populären und ökonomischen Ersatz für die teuren blauen Pigmente, die Maler bis dahin benutzt hatten, etwa das Ultramarin, das aus dem wertvollen Lapislazuli gewonnen wird. Preußischblau wurde jedoch, erst 50 Jahre nachdem Rembrandt sein Bild signierte und 37 Jahre nach seinem Tod in Berlin synthetisiert.

Übermalt und retouchiert

In der Tat beweist die forensische anatomische Untersuchung des Bilds, die sich bis heute fortsetzt, eine massive Restaurierung, der das Gemälde um 1830 unterzogen worden sein muss. Noch hat das Berliner Forscherteam kein abschließendes Urteil abgegeben. Viele Details sprechen von vielfachen Übermalungen und Retouchen.

Auch die Figuren von Potiphar und Joseph erscheinen als untypisch für Rembrandt. Es könnte sein, dass sie von Miniaturen aus Indien beeinflusst sind, die Rembrandt gesehen und möglicherweise benutzt hat, um seine Figuren mit orientalischen Attributen zu versehen.

Später nannte man sie Suleika

War sich Rembrandt der orientalischen Umgestaltungen dieser Geschichte bewusst? In der Bibel trägt Potiphars Frau keinen Namen, im Koran und in nachfolgenden persischen und indischen Traditionen erscheint sie als Suleika. Das Begehren, das Josef/Yusuf in ihr hervorruft, wird in diesen Traditionen als Leidenschaft für göttliche Schönheit dargestellt, es dient nicht der protestantischen Hervorhebung der Sünde der Verleumdung, der bösen Potenziale weiblicher Sexualität und der Tugend der Enthaltsamkeit.

All diese Umstände und offenen Fragen verkomplizieren die Faszination des Bilds. Wie stark ist das, was wir auf ihm sehen, durch unsere Projektionen bestimmt? Die Urheberschaft vieler traditionell Rembrandt Harmensz. van Rijn zugeschriebener Werke wurde seit Beginn des 20. Jahrhundert infrage gestellt. Von einst etwa 1.000 Bildern gelten heute noch gut die Hälfte als Werke Rembrandts. Unmöglich, zwischen individueller Genialität und den Effekten von Individualität zu entscheiden.

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1 Kommentar

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  • Aha. Mit Rembrandt also hat sie begonnen, die moderne Malerei. Das soll ich jedenfalls glauben, weil Tal Sterngast solches behauptet Kraft seiner Wassersuppe. Ob Rembrandt einen Vorgänger hatte (oder gar eine Vorgängerin), der (oder die) im Schatten des strahlenden Rembrandts und seiner späteren Korrektoren unsichtbar bleibt, werden Leute wie ich niemals erfahren. Dank Arbeitsteilung können wir nur denen vertrauen, die es besser wissen sollten – oder halt nicht.

    I prefere not to. Potiphars Frau, schließlich, ist nicht die erste intrigante Person der Weltgeschichte. Sie hat nur das getan, was zuvor schon Josephs Brüder getan hatten. Sie hat gelogen um des eigenen Vorteils, der eigenen Eitelkeit willen. Eine „Verschwörung der Malerei“ gäbe es gar nicht ohne den menschlichen Hang zu Verschwörungen jedweder Art – mit oder ohne theoretische Grundlage. Einem Hang, der eindeutig daher rührt, dass man immer nur die sieht, die grade im Licht stehen.

    Nach vorherrschender Meinung ist Susanna Opfer gewesen im Bade, Pothiphars Frau hingegen Täterin auf ihrem Bett. Wenn beide sich halbwegs theatralisch selbst berühren, ist das in beiden Fällen Ausdruck verletzten Stolzes. Nur, dass der Stolz einmal durch einen Missbraucht verletzt wurde und einmal durch die die Verweigerung des selben. Legitim ist nur ein Schmerz. Ob ein verletzter Stolz durch Rache wiederhergestellt werden kann und ob im Zweifel gelogen werden muss was die Schmerzursache anbelangt, ist jedenfalls nicht nur eine Persönlichkeitsfrage. Es ist auch Ausdruck der Machtverhältnisse.

    Stimmt schon: Die „Faszination des Bilds“ (wie die jedes anderen Kunstwerkes) wird beinahe vollständig davon bestimmt, wie stark das Dargestellte unsere Projektionen berührt. Die unserer eigenen schmerzhaften Erfahrungen etwa. Rembrandts „Joseph“ lässt mich als Frau ebenso kalt, wie seine „Susanna“. Was mich deutlich mehr aufregt, sind Tal Sterngasts Besprechungen. Von wegen der Anmaßung, die gut auch ins 17. Jahrhunderts gepasst hätte.