: Seuchenherd Ikea
Wirtschaftsnachrichten: Was hat dieser Dreck im öffentlichen Leben zu suchen?
Global Crossing trennt sich von Tiefseekabel-Dienstleister; der Versicherungskonzern Talanx schlägt bei Neue Leben zu; die Münchner Rück erwartet geringe Belastung durch Wirbelsturm Charley; und Ikea will die Preise senken, und zwar weit unter Null, so dass in Zukunft beim Kauf irgendeines Wickeltisch-Auflagen-Sets mit Internet- und Nachttischlampen-Anschluss einem an der Kasse noch ein Gratissack Pressspan zum Selber-Zusammen-Kleben übergeholfen wird. Es sind Meldungen wie diese, welche die Nachrichtensendungen in der letzten Zeit noch unerträglicher und fragwürdiger als ohnehin schon werden lassen – nicht allein wegen der immer totalitärer sich gebärdenden Schnäppchendiktatur, die ja nur das Symptom der wahren Seuche ist, die da wäre: die Penetranz des Wirtschafts- und Finanzlebens im öffentlichen Raum.
Die so genannten Nachrichten von heute sind eingekeilt in einen sauriergroßen Wirtschafts-, Sport- und Wetterblock, und dazwischen ist kaum noch Platz für Bombenanschläge, Flüchtlingsdramen und Hartz XXXV. Penibel werden das Hochklettern und Absinken des DAX vermerkt, die Kursnotierungen der wichtigsten 600 Industriewerte drei Stellen hinterm Komma, Millimeterbewegungen des Nikkei und Dow Jones, die Quartalszahlen der Fondsgesellschaften im Vergleich zum Vorjahr und Viertelquerschnitt der letzten Monatsbilanzen, Exportaussichten, Renditeentwicklungen, Fusionsgerüchte, Absatzschwankungen, Währungsdefizite und Dividendenausschüttungen. Wer das alles wirklich täglich im Halbstundentakt wissen muss und es erst aus den Nachrichten erfährt, hat sowieso verspielt. Für alle anderen aber, also zirka 100 Prozent der Gesamtbevölkerung, sind derartige Informationen eine Zumutung, eine Belästigung, eine öde Litanei und ewige Wiederkehr des gleichen Zahlenterrors, Buchhaltergequackel, gegen welches die Mitteilung von Papstbotschaften geradezu erfrischend und belebend wirkt.
Wer dann noch bedenkt, wie viele der sonstigen Nachrichten in der Regel kreuzbrav übernommen werden von den Presseabteilungen der Parteien, Fraktionen, Ämter und Agenturen, der ahnt, was der Quotenjournalismus heutzutage ist, nämlich tot. Er weiß es nur noch nicht. Längst ist in Zeitungen und Zeitschriften der Anzeigenteil interessanter als die redaktionelle Beilage.
Ikea senkt die Preise, wunderbar. Mit gleichem Recht müsste im Grunde die Preissituation aller übrigen Möbelhersteller und -discounter vermeldet werden. Um den Vorwurf des Branchenrassismus zu vermeiden, wären zudem mindestens auch die Schuhpreisentwicklung, die Situation bei Gemüse und Zahnpasta sowie Schweinebauch relevant. Theoretisch könnten bereits jetzt jede einzelne Tankstelle und jeder Schlüsselservice einen Platz in den Hauptnachrichten einklagen. Die Konsequenz dieser absehbaren Entwicklung wird allerdings sein, dass die Menschen „draußen im Lande“, wie es so schön heißt, den Fernseher zur Wand drehen, ihr Radio aus dem Fenster kippen und die Zeitung in der Pfanne braten.
Vielleicht sollte man die so genannten Wirtschaftsnachrichten endlich als das ansehen, was sie sind: als product placement, Reklame, Werbung – wobei richtige Werbung allemal unterhaltsamer ist. Kein Mensch will wissen, ob die Umsatzzahlen der TUI im letzten Quartal hinter irgendwelchen Erwartungen irgendwelcher Goldman-Sachs-Analysten zurückgeblieben sind oder was Allen Greenspan zur andauernden japanischen Schnürsenkelkrise geäußert hat.
„Wohnst du noch, oder lebst du schon?“, lautete zuletzt eine einschlägige Ikea-Parole, die einen ominösen Gegensatz zwischen Wohnen und Leben konstruierte. Die einzig richtige Antwort auf diese Anfrage wäre: Weder noch. RAYK WIELAND