: Set them free
■ Filme gegen Identitätsverweigerung und Geschlechtsspezifik: Berliner Lesben Film Festival 1994 im Eiszeit-Kino
Lesbenfilme, Filme über, von und für Lesben sind bestimmt nicht das, was man Mainstream nennen könnte. Zur Berliner Lesbenwoche gibt es im Eiszeit-Kino vier Tage die Möglichkeit, sich im Low-Budget-Dschungel lesbischer Filmproduktionen umzusehen. Dort wird vom „Deutschen Kurzen“ bis zur Lesbian-Porno-Nacht alles passieren.
Filmerinnen und Filme kommen immer noch hauptsächlich aus Ländern wie Kanada, den USA, Deutschland und Australien, wobei mit dem Schwerpunkt „Deutsche Kurze“ die ewig währende US-Vormacht ein wenig angeknackst werden soll. Identität steht neben Sex ganz oben, und unter Identität ist nicht nur Gender und sexuelle Beziehungen zu verstehen, Identität splittet sich in alle möglichen Unds.
Filme, die extra stehen und Extra heißen, wie etwa „6 million and one“ oder „Terra Nullius“, behandeln mehr die Zuschreibung, Beklemmung und Überwindungsversuche aus verschiedenen konstruierten und akzeptierten Identitäten. Bei „6 million and one“ setzt sich Michal Goralski mit ihrer jüdischen Identität auseinander, zeigt Ausgrenzung, Druck und Paranoia. Sie zeigt das etwa mit dem Verschwinden von Davidsternen, die sie als Zeichen an Wänden sieht und die, sobald sie andere herbeiholt, unsichtbar werden.
Der australische Film „Terra Nullius“ von Anne Pratten zeigt ähnliche Kategorien von erzwungenen Identitätskorsetten. Alice, eine Aborigine, die von weißen Adoptiveltern erzogen wird, erfährt nicht nur ihre Transformation zur Trägerin der weißen Tugenden durch die Entwertung ihrer eigenen Werte in der weißen Adoptivfamilie, der Film handelt auch davon, wie Alice dem sexuellen Mißbrauch und dem alltäglichen Rassismus ausgesetzt ist.
Katholizismus scheint in der Identitätenreihe zum Thema Nummer eins geworden zu sein. Neben Monica Pellizaris Film „Just Desserts“, die das Aufwachsen als Lesbe zwischen Katholentum, Gnocci und geheimen Trieben beschreibt, zeigt „Jessesmaria“ ein pathetisch inszeniertes Kirchenaustritts-Musikvideo. „Set me Free“ ist nicht nur ein Film gegen Katholen, er ist auch Rebellion gegen die Mutter und deren einschneidendes geschlechtsspezifisches Mädchentrainingsprogramm. Zu dessen Werkzeugen gehören neben aufdringlichem Kleiderzwang auch Verwünschungen und Entmutigungen. „Set me Free“ macht bitterböse deutlich, wie sehr frau kämpfen muß, um davon loszukommen.
Sex ist nicht nur identitätsbestimmend, Sex kommt einfach fast überall vor, von augenzwinkernden Szeneselbstbetrachtungen, Zärtlichkeiten, bis zum California- Dreamgirl-Ausflug. Die schnellen, schönen, bunten Filme wie „Sex Fish“ aus San Francisco und „Sex Bowl“ von der gleichen Produzentinnengruppe E.T. Baby sind dafür beispielhaft. „Sex Bowl“ ist ein genüßlicher Auszählreim der Formen und Vorlieben Verflossener, dabei wird gekegelt, und nach jeder Affäre stehen alle Neune und warten auf die nächste Runde.
Und natürlich geht es beim allerersten Berliner Lesbenporno „Airport“ um Sex. Dort fängt alles ganz nett auf dem Flughafenklo an, und eine der vier Flugbegleiterinnen, die nicht mit beiden Händen bei der Sache ist, schießt Polaroidfotos, die am Ende, wenn sich die Crew zum Abflug wieder in Tegel trifft, ausgetauscht werden wie Urlaubsfotos. Dazwischen kann sich frau am Wiedererkennen erfreuen (ach guck mal, da ist ja...), aber am Schluß fragt man sich dennoch, ob es an der Kommunikationslosigkeit der Frauen lag, daß einfach nicht klar wurde, warum jetzt eigentlich die mit der ausgerechnet dieses macht und so weiter.
Sex auf dem Klo, Sex auf dem Motorrad – Technik, Speed und Sex. Motorisierte Fahrgestelle konnten in „8 mm Lesbian Love Film“ mit Dykes on Bikes und in „Kissy Suzuki Suck“ beobachtet werden, wo sich zwei Sexarbeiterinnen im japanischen Kleinwagen über ihren Job unterhalten. Bei Heidi Kull gibt's Autosex mit einem Hund, und Nathalie Percillier zeigt in „Bloody Well Done“ nicht nur einen wunderhübschen trickfilmanimierten Film, sondern auch die besten Waffen und Flugmaschinen, die James Bond niemals haben durfte.
Der „Lesbisch-schwule Sportreport“, in dem neben muskulösen Schwimmerinnen zarte Eiskunstläufer zu sehen sind, konnte sich den Ausflug in die erotische Welt der Trainingscamps nicht verkneifen. Sex und Knast ist Mittelpunkt in Maria Schmidts Matinee mit dem Titel „Die Pfoten bleiben über dem Laken“. In der Zusammenstellung aus Frauengefängnisfilmen hat sie vor allem die Klischees der lesbischen Wärterin und der scheuen Neuen reproduziert. Und weil das alles zwischendurch gar nicht p.c., sondern scheußlich lustig und provokant ist, kann frau sich mit den anwesenden Macherinnen heftig auseinandersetzen. Annette Weber
Berliner Lesben Film Festival (nur für Frauen), 21.10., 19 Uhr: Deutsche Kurze, 21 Uhr: Identität und Gender I; 22.10., 19 Uhr: Identität und Gender II, 21 Uhr: Pornos, Sex, Erotica; 23.10., 11.30 Uhr: Matinee, 19 Uhr: Deutsche Kurze (Wh.), 21 Uhr: Sportreport + shorts; 24.10, 18 Uhr: Extras, 20 Uhr: Pornos, Sex, Erotica. Alles im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen