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Serie Südafrikaner berichten... in den Toiletten warten deine Feinde

■ Viele schwarze Männer leben als Wanderarbeiter in Heimen bei Industriezentren Ihren Familien in den "unabhängigen" Homelands ist es nicht erlaubt, ihnen zu folgen

Direkt neben dem Bahnhof steht ein Gebäude wie ein Gefängnis. Es ist umgeben von einem hohen Sicherheitszaun und am Tor steht ein Polizist. Aber dieser Ort sieht nicht nur aus wie ein Gefängnis , es ist tatsächlich eines. Es ist ein Gefängnis für Männer, die ein einziges Verbrechen begangen haben - sie wurden in einer ländlichen Gegend geboren. Der hohe Zaun und der Polizist sollen verhindern, daß die erwachsenen Einwohner Freundinnen auf ihre Zimmer nehmen. Ich wohne in diesem Heim. Mein Zimmer ist dunkel. Eine Menge Rauch kommt aus dem Kohleofen, der mitten im Raum steht. Dreckige Decken hängen vor den Fenstern, keine Gardinen. Die acht Betten sind aus Zement gemacht. Die Betten haben ein eingebautes Kopfkissen, auch aus Zement. Wäscheleinen sind diagonal von einer Ecke des Zimmers zur anderen gezogen. Darauf hängt nasse Wäsche. Das Wort „Privatleben“ gehört hier nicht zu unserem Wortschatz. Jetzt, am Abend, sind nur ein paar Bewohner dieses Zimmers hier. Die meisten meiner Freunde arbeiten als Nachwächter in der Stadt, während ich, einer der wenigen glücklichen, tagsüber in Fabriken arbeite. Irgendwann nach sechs Uhr abends, wenn die Öfen nicht mehr so viel Rauch machen, fängt es an, nach gebratenem Fleisch zuriechen. Als ich zuerst in dem Wohnheim ankam, dachte ich, daß ein Barbeque stattfindet. Während meiner ersten Nacht hier beobachtete ich einige Männer, die das Abendessen für alle Bewohner dieses Zimmers zubereiteten. Tatsächlich kocht jeden Abend ein anderer.Wir kochen alle das Essen, das wir am liebsten essen - Maismehl und Kutteln. Dies ist die einzige Art Fleisch, die wir uns leisten können - die „malamohudu“ (Kutteln) kosten nur 50 cents das Stück. Es ist auch das einzige, was wir kochen können. Es erinnert uns an unsere Familien in den Homelands. Denn dort schlachten wir selbst Tiere wie Kühe, Schafe und Ziegen. Spielplatz für Schlägertypen Wir wohnen nicht hier aus freier Wahl - es gibt einfach keine Alternative. In einem Wohnheim zu wohnen, ist kein Picknick. Es ist ein Spielplatz für die Schlägertypen der ganzen Township. Die meisten Verbrechen werden in den Toiletten begangen, die ein paar hundert Meter entfernt sind. Es gibt keine Toiletten in der Nähe unserer Zimmer. Die Toiletten werden von mehreren Dutzend anderen Männern aus den anderen Zimmern mitbenutzt. Nachts zu diesen Toiletten zu gehen, ist, als ob du nach Beirut in den Urlaub fährst - die Chancen stehen schlecht, lebend zurückzukommen. Wenn du Glück hast und dennoch zurückkommst, stehen die Chancen nicht schlecht, daß du nur im Adamskostüm zurückkommst. In diesen Toiletten werden werden auch Frauen vergewaltigt. In genau diesen Toiletten warten nachts deine Feinde auf dich. Und meist sind deine Feinde einfach Mitbewohner des Wohnheimes. Das Leben im Wohnheim ist sehr eigenartig, wenn man nicht daran gewöhnt ist. Als ich zuerst hierher kam, habe ich mit Leuten zusammengelebt, die Zulus waren, genau wie ich. Aber sie kamen nicht aus derselben „isigodi“ (Gegend) wie ich. Sie gehörten nicht zur selben Gruppe wie ich. Bald musste ich feststellen, daß sie die Rivalen meiner Heimatgenossen waren. Es gibt viel Haß zwischen den verschiedenen, sich gegenseitig bekämpfenden Gruppen. Wor über sie kämpfen, weiss nur die Vergangenheit zu erzählen. Ich weiss es nicht, ausser daß es etwas damit zu tun hatte, daß ein Mädchen aus einem Dorf einen Mann aus einem anderen Dorf heiratete. Auf jeden Fall, als ich eines Tages von der Arbeit zurückkam, warteten einige Leute auf mich. Sie trugen Gewehre, Schwerter und Stöcke. Sie sagten, daß sie mich töten würden, weil ein Mitglied meiner Gruppe ein Mitglied ihrer Gruppe getötet hatte. Aber sie haben dann gesagt, sie würden mir diesmal keine Schlinge umlegen, weil ich noch so jung und unerfahren war. So entdeckte ich, daß die Wohnheime nicht nur eine Abfallhalde für Wanderarbeiter sind, sondern auch Schlachtfel der, wo Verbrechen und Gewalt herrschen. Jetzt wohne ich zusammen mit Freunden, die aus demselben Distrikt wie ich kommen. Sie benutzen aber hier nicht ihre echten Namen, weil sie Angst haben, daß jemand sie erkennen könnte. Für uns, die wir in Wohnheimen wohnen, sind die Oster– und Weihnachtsferien besonders wichtig. In der Zeit zwischen den Ferien kaufen wir eine ganze Menge Sachen: Fahrräder, Heizungen, Kühlschränke und viele andere Dinge. Wir kaufen diese Sachen für unsere Familien in den Homelands. Heimweh Manche Leute in den Townships lachen uns aus. Sie sagen, daß wir eigenartige Dinge tun. Als ich einmal mit dem Zug von der Arbeit zurückkam, überhörte ich ein Gespräch. Der eine sagte: „Weißt du, die Leute in den Wohnheimen tun wirklich eigenartige Dinge. Zum Beispiel wird ein Typ sich ein Fahrrad kaufen. Aber er wird hier nicht damit fahren. Er will zu Hause, in seinem Dorf darauf fahren, sodaß jeder sehen kann, daß er in Johannesburg arbeitet. Und jedes Jahr ist er nur etwa drei Wochen zu Hause. Manche Typen kaufen sogar elektrische Geräte, selbst wenn es zu Hause gar keinen Strom gibt.“ Es mag sein, daß wir vielen Leuten verückt erscheinen. Aber wir haben Heimweh wie jeder andere. Wir denken oft an zu Hause und wir würden unser Zuhause gerne genau so schön machen, wie die Häuser in den weißen Vorstädten. Und so kaufen wir alles, was unsere Häuser schöner machen kann - selbst wenn das bedeutet, daß wir elektrische Geräte kaufen, obwohl wir zu Hause keinen Strom haben. „Woza Friday, woza weekend“ ist ein bekannter Spruch in den Townships. Das heißt „Komm Freitag, Komm am Wochenende“. Das gilt auch in den Wohnheimen. Das Dube Wohnheim wird am Freitagabend lebendig, wenn die meisten von uns, die tagsüber arbeiten, unseren Lohn gekriegt haben. Wir bingen richtiges Fleisch (keine Kutteln) mit, und richtiges Bier (kein selbstgebrautes) und manchmal sogar Freunde (die schon ziemlich viel Bier in der Stadt getrunken haben und zu dieser Zeit schon einen schweren Blackout haben). Es ist Zeit, daß ich und meine hartarbeitenden Freunde unsere Füsse hochlegen und uns entspannen. Aber so viel bedeutet das auch nicht. Es heißt einfach, daß jeder die Nacht mit seinem tragbaren Radio voll aufgedreht verbringt. Es ist wie eine Massenfete, bei der jeder für sich alleine feiert. Dennoch ist ein Geist der Freundschaft in der Luft. Den ganzen Samstag geht das so. Sonntags ist dann ein Tag der Ruhe. Dann spielen mein Freund Themba und seine Freunde Fussball und wir sehen zu. Oft bringen wir unsere Freundinnen aus der Township mit. Im Wohnheim haben die Prostituierten ihren grossen Tag, an dem sie einen Riesengewinn machen. An diesem Tag kommen auch unsere Freunde zu Besuch aus anderen Wohnheimen, und aus „Emakhishini“, also aus den Dienstbotenzimmern in den Hinterhöfen der Häuser in den weissen Vorstädten. Und es ist ein Tag des Krieges, an dem Kämpfe zwischen den verfeindeten Gruppen an der Tagesordnung sind. An diesem Tag ist es am gefährlichsten, in ein Wohnheim zu gehen. Am wichtigsten sind am Wochenende die Fussballspiele in ganz Soweto. Selbst hier im Wohnheim haben wir unsere eigenen Spiele, bei denen die Gewinner 25 Liter „Umqobothi“ (selbstgebrautes Bier) erhalten. Das einzige Problem ist, daß die Bewohner der Heime fest an Gewalt glauben. Es gibt einfach zuviel Haß zwischen den Leuten, die hier wohnen. Ich glaube, daß dieser Haß seine Wurzeln in Stammesdenken und Analphabetentum hat. Am Sonntagabend ist es am langweiligsten für mich und die meisten meiner Mitbewohner. Denn unser Lohn und unsere Aufregung sind fast aufgebraucht. Zu dieser Zeit denken wir an unsere Lieben zu Hause, und an die Woche, die vor uns liegt. Zurück zur alten Tretmühle - Arbeit und Bosse, Arbeit und Bosse. So ist es. Das ändert sich nie.

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