Serie Hegemonialmacht USA, Teil 11: Pax Nipponica statt Americana?
■ Die USA haben gegenüber Japan bereits eine Handelsstruktur wie ein Land der Dritten Welt: Rohstoffe gegen High Tech
Ein Gespenst geht um in den alten Zentren der kapitalistischen Weltwirtschaft und insbesondere in den USA - das Gespenst des pazifischen Wunders. Das Gespenst hat Namen und Adresse: Made in Japan. Während die Entwicklungsländer an ihrer Verschuldung zu ersticken drohen, das Gerücht von der sich abschwächenden Wirtschaftskraft der EG–Länder, kurz Eurosklerose genannt, sich hartnäckig hält und die weltwirtschaftliche Dominanz der USA zunehmend in Frage gestellt wird, hat sich Japan zur mittlerweile der Welt zweitgrößter Wirtschaftsmacht gemausert. Der Verfall der ökonomischen Leistungsfähigkeit der USA wirft die Frage auf, welche Macht in Zukunft die Rolle der Ordnungsmacht in der Weltwirtschaft zu spielen in der Lage wäre. Für viele liegt die Antwort auf der Hand: Die „Pax Americana“ wird von der „Pax Nipponica“ abgelöst. Japan, möglicherweise im Verbund mit den ostasiatischen Schwellenländern, wird danach das zukünftige Zentrum der Weltwirtschaft darstellen. Tatsächlich schneiden die Vereinigten Staaten im ökonomischen Vergleich mit Japan schlecht ab. Der Anteil der USA am Welthandel ist von 16,7 Prozent 1950 auf elf Prozent 1985 gefallen, während der japanische Welthandelsanteil seit Anfang der fünfziger Jahre von 1,4 Prozent über 6,5 Prozent (1980) auf aktuell etwa zehn Prozent expandierte. In den achtziger Jahren hat die US–Ökonomie horrende Handelsbilanzdefizite hinnehmen müssen und zeitgleich allein in den letzten fünf Jahren der Reagan–Herrschaft eine Staatsverschuldung von sage und schreibe 1.000 Milliarden Dollar akkumuliert - das vierfache Niveau des Haushaltsdefizits der US–Regierung auf dem Höhe punkt des Zweiten Weltkrieges. 1985 wurden die USA erstmals seit dem Ersten Weltkrieg zu einem Nettoschuldnerland und unterdessen zum größten Schuldner der Welt. Japan hingegen avancierte dank der hohen Handelsbilanzüberschüsse, die allein 1986 schon 77 Milliarden Dollar betrugen und für 1987 auf über 100 Milliarden Dollar geschätzt werden, zum größten Kapitalexporteur der Weltwirtschaft. Infolge dieser Entwicklungen übernimmt die Gläubigernation Japan zunehmend finanzielle Lasten und Koordinationsaufgaben innerhalb der Weltwirtschaft, die bisher von den USA erledigt wurden. Während die Vereinigten Staaten ihre Defizite groteskerweise nicht zuletzt aus den Kapitalexporten, vor allem in Form von Zinszahlungen der alten amerikanischen Schuldnerländer, finanzieren, hat die japanische Regierung in den letzten Monaten den südamerikanischen Staaten Kredite in Höhe von vier Milliarden Dollar zugesagt, um einen Kollaps auf den internationalen Finanzmärkten zu verhindern. Der japanische Außenminister Kuranari hielt sich im September in Lateinamerika auf, um über die Modalitäten der monetären Stützaktion zu verhandeln. Im Herbst schließlich kündigte Finanzminister Miyazawa an, Japan werde einen Teil seiner Handelsbilanzüberschüsse zur Stabilisierung der Ökonomien der Entwicklungsländer zur Verfügung stellen. Die Rede war von gigantischen Summen zwischen 30 und 40 Milliarden Dollar. Doch Japan präsentiert sich nicht nur als derzeit wichtigster Geldgeber der Entwicklungsländer, sondern auch als größter Gläubiger der USA. Ein wesentlicher Teil der im Handel mit den USA verdienten Dollar - allein 1984 vollbrachte Japan einen Überschuß von 37 Milliarden Dollar im Warenaustausch mit den USA - fließt als Anleihen, Portofolio– und Direktinvestitionen wieder ins Land der mittlerweile stark begrenzten Möglichkeiten zurück. Zwischen 1980 und 1985 haben allein die japanischen Direktinvestitionen in den USA um 15 Milliarden Dollar zugenommen. Und was amerikanische Politiker besonders schmerzt und bei den Wirtschaftsstrategen im Weißen Haus chronische Schweißausbrüche und Schwindelgefühle verursachen soll, ist die Asymetrie des Handels zwischen den beiden Staaten. Japan liefert im wesentlichen Güter des gehobenen Konsums, Produktions– und Investitionsgüter und bezieht aus den USA neben einigen Hochtechnologien vor allem Nahrungsmittel und Rohstoffe. Der komparative Vorteil der USA liegt demnach im Primärgütersektor, woraus sich gegenüber Japan eine Außenhandelsstruktur ergibt, die der eines tpyischen Landes der Dritten Welt auffällig ähnelt. Aber auch in Japan melden sich kritische Stimmen zu Wort, die davor warnen, aus der Krise der US–Hegemonie leichtfertig den unaufhaltsamen Aufstieg Japans abzuleiten. Der Ökonom Nomura interpretiert die 40prozentige Aufwertung des Yen gegenüber dem Dollar seit September 1985 als eine Wende in der japanischen Nachkriegsgeschichte. Das japanische Entwicklungsmodell sei an die Grenzen des Weltmarktes gestoßen, die Veschiebung der Wechselkurse unterminiere die traditionellen Konkurrenzvorteile, möglicherweise seien Entindustrialisierungstendenzen zu befürchten. Eine sicher etwas voreilige Krisendiagnose. Nicht von der Hand zu weisen ist jedenfalls, daß Japan in Zukunft mit Beschäftigungsproblemen konfrontiert sein wird. Angesichts des sich verstärkenden Drucks der anderen Welthandelsnationen auf Japan, seine Handelsbilanzüberschüsse abzubauen, und des zunehmenden Protektionismus gegenüber japanischen Waren auf den Weltmärkten ist seit 1980 eine Welle von japanischen Direktinvestitionen zu beobachten. Um Handelskonflikte zu vermeiden und Zölle und Transportkosten einzusparen, beginnen immer mehr japanische Unternehmen, im Ausland zu produzieren. Unvermeidlich wird die japanische Produktion im Ausland die Exporte reduzieren und damit heimische Arbeitsplätze gefährden. Probleme zeichnen sich bereits in der Stahl– und Schiffsbauindustrie ab. Nach Schätzung des regierungsoffiziellen MITI– Reports werden bis zum Jahre 2000 durch den Import von Fertigwaren und steigenden japanischen Direktinvestitionen über eine Million Arbeitsplätze verloren gehen. Insgesamt scheinen sich in der japanischen Ökonomie Probleme einzustellen, die in anderen Industrieländern längst zum kapitalistischen Krisenalltag gehören. Eine „Pax Nipponica“ wird wohl noch eine Weile auf sich warten lassen. Wahrscheinlicher ist da schon eine Pattsituation zwischen den drei Wirtschaftsblöcken USA, Europa und Japan.
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