Serie Hegemonialmacht USA (5): Taylorismus überholt
■ Die Importkonkurrenz der US–Autokonzerne wirft die traditionelle Sozialstruktur in der Produktion über den Haufen
Aufregung in den USA: Aus der Sowjetunion kam die Nachricht, daß man sich vorbereitet, etwa 1991 einen Moskvich auf dem amerikanischen Automobilmarkt anzubieten. Gesucht wird noch nach einem westlichen Partner, der hilft, einen Motor zu entwickeln, der den amerikanischen Vorschriften entspricht. Die Redaktion der führenden amerikanischen Fachzeitschrift Automotive News reagierte mit einem Leitartikel unter der Überschrift „Braucht Amerika ein russisches Auto?“ Wir haben schon viel zu viele Autos, heißt es da in einer Mischung aus Wut, Verzweiflung und Erstaunen: 2,5 Millionen Autos warten zur Zeit bei den Händlern und in Häfen auf ihre Käufer. Die meisten Experten erwarten für Anfang der 90er Jahre eine Überkapazität von vier Millionen Einheiten in der nordamerikanischen Automobilindustrie. Dabei sind die Russen nicht die einzigen, die ein Auge auf den nordamerikanischen Markt werfen. Weltweit haben fast 50 Unternehmen angekündigt, daß sie 1990 ihre Fahrzeuge dort verkaufen wollen - gegenüber 29 im Jahre 1984. Die amerikanische Automobilindustrie fühlt sich ernsthaft bedroht von den Importen - zweifellos eine bemerkenswerte Entwicklung. Wie kein anderes Produkt ist das Auto ein Symbol des „amerikanischen Jahrhunderts“. Das Auto ist verbunden mit so Innovationen wie dem Produktionssystem von Henry Ford, mit der divisionalen Unternehmensstruktur von General Motors, mit Massenproduktion, Massenkonsum und Massentourismus, Innovationen, die amerikanische Unternehmen und den amerikanischen Lebensstil zum Modell für die ganze Welt machten. Amerikanische Automobile wurden allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch selten exportiert. Die amerikanischen Hersteller überließen die ausländischen Märkte ihren Tochterunternehmen, während sie sich selbst auf einen stabilen, ständig wachsenden Markt einrichteten. In einem Land, wo Benzin relativ billig war, wo man immer noch Raum fand für breite Straßen, Parkplätze und geräumige Garagen, wurden die Automobile immer länger, schwerer und bequemer, angetrieben von immer stärkeren Motoren, die immer mehr Benzin verbrauchten. Als die kleinen Europäer und vor allem der Käfer in den 60er Jahren auch in den USA angeboten wurden und dort gewisse Erfolge verbuchen konnten, war das für die amerikanischen Hersteller kaum beunruhigend. Bis 1970 gelang es, die Importe unter zehn Prozent zu halten. Seit Anfang der 70er Jahre jedoch haben Importe einen fast ständig wachsenden Anteil am amerikanischen Automobilmarkt erobert. Ein Vergleich (s. Tabelle) der drei Spitzenjahre in dieser Periode (1973, 1978 und 1986) zeigt, daß der Markt nicht mehr wächst. Der Anteil im Inland produzierter PKWs ist gefallen und derjenige der importierten gestiegen - bis 28,3 Prozent 1986. Die japanischen Hersteller allein haben ihren Anteil auf 20,8 Prozent steigern können. Zu den im Inland produzierten PKWs gehören auch noch die Produkte der amerikanischen Niederlassungen von Honda, Nissan, Toyota und VW - zusammnen immerhin 369.041 oder 3,2 Prozent des Marktes im Jahre 1986. Der Angriff der ausländischen Hersteller kommt von zwei Seiten. Während die Japaner (und jetzt auch die Koreaner und Jugoslawen) in den unteren Marktsegmenten herrschen, sind die Europäer - vor allem die Deutschen und die Schweden - in den oberen Marktsegmenten führend. General Motors, Ford und Chrysler haben diesen Angriffen auf ihre Marktposition natürlich nicht tatenlos zugesehen. Das Erstaunliche ist gerade, daß es diesen Unternehmen trotz aller Anstrengungen bislang nicht gelungen ist, die Importwelle zu stoppen. Zahlreiche Konzepte und Strategien wurden seit Mitte der 70er Jahre entwickelt und erprobt. Fast alle Modelle wurden verkleinert (“down sizing“), und im Zusammenhang damit wurde der Vorderradantrieb verbreitet eingeführt. Außerdem fing man an, die ausländischen Verbindungen und Tochterunternehmen zu einem weltweiten Produktionsverbund zusammenzuschmieden, wobei jedem Standort die Produktion jener Teile zugewiesen wurde, die dort am billigsten produziert werden konnten (“world car concept“). Auf diese Weise wurden zweifellos bestimmte Erfolge erzielt, aber es ergaben sich auch Probleme. Die Organisation eines weltweiten Produktionsverbundes war nicht nur anfällig für politische Störungen (Protektionismus, Regierungswechsel, Streiks), sondern auch schwierig zu überwachen in Hinblick auf Qualität. Die qualitäts orientierten Logistik–Konzepte der japanischen Konkurrenz sind gerade an physischer Nähe und hohem technischen Können der Zulieferer orientiert. Kamen die Japaner anfänglich als Billigautos auf den Markt, so kosten sie neuerdings genau so viel oder mehr als die amerikanischen Konkurrenzmodelle und werden trotzdem verkauft, weil sie als zuverlässiger eingestuft werden. Die Antwort der US–Konzerne: Von 1978 bis einschließlich 1985 betrugen die Investitionen in neue Anlagen und Fabriken in der amerikanischen Automobilindustrie über 75 Milliarden Dollar. Hunderte von Robotern und andere Automaten hielten Einzug in die Fabrikhallen. Die menschliche Belegschaft fiel in der gleichen Periode zurück von 1.005.000 auf 872.000, und die amerikanischen Automobilarbeiter und ihre Gewerkschaft (United Auto Workers, UAW) mußten Einkommenseinbußen hinnehmen. Schwerwiegender und auch komplizierter zu verhandeln waren indes Konzessionen im Bereich der Arbeitsorganisation. Die neuen Technologien, die Betonung von Produktqualität und auch die von der Konkurrenz erzwungene Produkt– und Ausstattungsvielfalt erfordern eine andere Art von Arbeitsinhalten und -organisation. Die hierzulande unter dem Stich wort „neue Produktionskonzepte“ geführte Diskussion ist gerade in der amerikanischen Automobilindustrie besonders einschneidend, weil sich dort die traditionelle Produktionsorganisation von Taylor und Ford wohl am tiefsten verankert hat. Nicht nur hat das Management jahrzehntelang die Trennung von Hand– und Kopfarbeit und die Arbeitsteilung am Fließband perfektioniert; auch die Arbeiter und die UAW hatten sich in diesen Strukturen eingenistet und ihre Rechte bezüglich Arbeitstempo und Arbeitsplatzsicherheit eng verknüpft mit der tayloristischen Arbeitsteilung. Beide Parteien stehen nun vor dem Problem, in einer Periode von Rationalisierung und Entlassungen neue Modelle von Arbeitsorganisation und industriellen Beziehungen zu entwickeln, die auf gegenseitigem Vertrauen basieren, auf Übertragung von Verantwortung an die Produktionsarbeiter und auf Abbau von Management– Privilegien. Daß dies auch in den USA möglich ist, haben Honda und das Gemeinschaftsunternehmen (Nummi) von Toyota und GM in Kalifornien schon bewiesen. Was anfänglich vielleicht aussah wie eine simple Konkurrenz mit billigen Kleinwagen, ist zu einer massiven Herausforderung für das ganze Sozialsystem der amerikanischen Automobilindustrie geworden. Darüber hinaus ist auch das Ausbildungssystem der USA gefordert, nicht nur Spitzenwissenschaftler und -ingenieure abzuliefern, sondern auch die Ausbildung der Durchschnittsamerikaner nicht länger zu vernachlässigen. Ungelernte Arbeiter sind nicht nur in der Automobilindustrie immer weniger gefragt. Damit ist auch die Rolle des Staates angesprochen. Traditionell stellt sich der Staat in den USA gegenüber der Privatwirtschaft immer sehr zurückhaltend auf. Industriepolitik, Technologiepolitik und sogar Ausbildungspolitik sind unterentwic ein Konzept für die Branche zu entwickeln. Die finanzielle Unterstützung von Chrysler durch die Regierung 1979 wurde eher als Schandfleck denn als sinnvolle Maßnahme empfunden. Gespräche zwischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmen finden auch nicht statt. Der Ruf nach protektionistischen Maßnahmen wird zwar immer lauter, aber es gibt in der Branche überhaupt noch keine Einigkeit über die notwendigen Umstrukturierungen, die sich dann im Schutz der Zollmauern vollziehen könnten. Solange solche Konzepte fehlen, haben die Gegner des Protektionismus die besseren Argumente. Vielleicht muß es zuerst noch härter kommen. Im Juni dieses Jahres überschritten die Importe die 30–Prozent–Marke bei den Automobilverkäufen.
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