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■ Serie „Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes“, Teil 1Das Brückenmännchen an der Neiße

Da ist man naiv und denkt, wo eine Brücke ist, geht's von hüben nach drüben. Über ein Hindernis, auf eine andere Seite. Übers Tal oder über den Fluß. Über die Neiße, zum Beispiel, dieses unglückliche Wasser am östlichen Rande der Republik.

Deren Lauf bezeichnen einige hierzulande noch immer als „Linie“, denn das Wort Grenze klingt ihnen so endgültig nach Niederlage. Doch gleichzeitig kann ihnen der Graben nicht tief und der Damm nicht hoch genug sein, denn hier an der Neiße schützt sich Europa gegen die „Flut“ aus dem Osten.

Die Neiße hat ihre Brücken, und die führen hinüber nach Polen. Irgendwie. Doch nicht in Forst, der brandenburgischen Kleinstadt. Forster Brücken führen nirgendwo hin.

Vor dem Krieg gab es den eisernen „Steg“ für Fußgänger und Radler. Den nannten sie „Seufzersteg“, denn auf der anderen Seite, im Ortsteil Berge, stand das Finanzamt. Der Auto- und Zugverkehr lief über die „Lange Brücke“, ein 15 Meter breites Monument mit sieben Bögen aus Stahl und Beton quer über die Neißewiesen. Auf diesen Wiesen wurden früher die Tuche gebleicht; mit Tuchmacherei verdiente die Stadt noch ihr Geld bis zur Wende.

Seit dem Neubau der Brücke in den 20er Jahren hockt auf einem der Pfeiler das Brückenmännchen. Bewacht einen Hohlraum, der die Urkundenkapsel des Bauwerks enthielt. Die Hände auf den Knien, starrt der Wichtel mit steinerner Nachdenklichkeit in das Wasser der Neiße. Steht es ihm bis zum Hals, gibt es Hochwasseralarm.

Das passiert in jedem Jahrhundert mindestens einmal. Auf den Vorgängern der Langen Brücke überquerten seit dem 14. Jahrhundert „der sorgenvolle Kaufmann und der leichtgeschützte Pilger, der andächtige Mönch, der düstere Räuber und der heitere Spielmann“ die Neiße auf dem Weg entlang der Lausitzer Salzstraße.

Überquert hätte sie gern auch eine Handwerkersfrau. Statt dessen wurde sie 1612 von oben ins Wasser geschmissen. Zuvor auf einen Wagen geschmiedet, durch die Straßen von Forst gekarrt, dabei mit glühenden Zangen gerissen. Angeblich hatte sie ihrem Mann giftiges Kraut in die Suppe getan. Sein Tod war schon vier Jahre her, ersaufen mußte sie trotzdem.

Die Lange Brücke schlägt heute ein, zwei Bögen, der dritte ist nur eine Hälfte, und dann kommt nichts als Luft und tief unten das schleichende Wasser. Zwischen dem geborstenen Beton der Ruine haben sich auf Hügeln angewehter Erde Birken und Lärchen zueinandergesellt. Mehr Verbindung kann diese Brücke nicht mehr stiften, ihre Mitte ist weggesprengt. Auch der Seufzersteg ist zerrissen.

Die Brücke hatte Wallenstein und seine Söldnerheere im 30jährigen Krieg gesehen; Friedrich den II., als er 1759 nach Sorau zog. Auf ihr marschierten 1812-15 die Heere Napoleons und die der Preußen, Österreicher und Russen.

Doch mit dem Ende der deutschen Wehrmacht kam auch ihr Ende. Auf dem Rückzug vor den sowjetischen Truppen hinterließen die deutschen Soldaten einen letzten Gruß – als Sprengladung. Seit '45 leben die Forster vor verstümmelten Brücken.

Das hat sie nie sehr gestört. Drüben war ja jetzt Polen, wuchsen Bäume und Büsche über die verlassenen Häuser von Berge, bis nichts mehr zu sehen war. Hüben wuchs der Sozialismus und die zwangsverordnete Völkerfreundschaft mit den polnischen Nachbarn. Die Polacken sind stinkfaul, schmuddlig und ständig besoffen, ergötzen sich die Forster auf gut deutsch bis heute. Doch als 1950 die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als „Friedensgrenze“ gefeiert wurde, machten die Forster bereitwillig mit.

Der brückenlose Graben blieb ihnen ja erhalten.

Brückenlos ist er bis heute geblieben. Einige Forster würden gerne eine Verbindung nach drüben schlagen. Nur wenige. Einen Vertrag mit den Polen gibt es inzwischen auch schon. Aber die Deutschen haben es nicht so eilig. Vor 1994 wird es wohl keine Brücke in Forst geben. Warum auch. Nach Osten werden die Zugbrücken hochgezogen. Bascha Mika

Unsere Serie „Denk-Mal“ über deutsche Erinnerungsstätten aller Art setzen wir kommenden Donnerstag fort. Bascha Mika war in Freiburg, beim Standbild des Mönches Berthold Schwarz.

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