Serie Bauern und EG (11): Bald letzte Feldblume weg
■ Die Sortenvernichtung durch Chemie–Saatgut–Multis und Gentechnologie bringt unermeßliche ökologische und Ernährungsprobleme
Duftende Hefebrötchen, knusprige Baguettes, kerniges Schwarzbrot - wenigstens beim Brot, so scheint es, haben wir die große Wahl. Doch der Schein trügt: Unser Backwerk entsteht aus dem Mehl nur weniger Getreidesorten, aus Pflanzen mit nahezu identischer Zusammensetzung. Ganze drei Sorten an Roggen beherrschen zum Beispiel das Gros der bundesrepublikanischen Anbaufläche und gerade dreißig Pflanzensorten sind es, mit denen wir Westeuropäer unseren pflanzlichen Nahrungsbedarf decken. Vor wenigen Jahrzehnten waren es noch um die 500 Kulturpflanzen, mit denen sich der vegetarische Tisch beschicken ließ. Wissenschaftliche Organisationen läuten wegen dieser Entwicklung Sturm: Die Verarmung der Pflanzenwelt, die sie derzeit weltweit beobachten, sei katastrophal. Wild– und Kulturpflanzen verschwänden tagtäglich von der Erde, würden verdrängt von immer weniger Hochertragssorten. Griechenland nennen sie als Beispiel. Dort wurden in den letzten Jahrzehnten die einheimischen Weizensorten weitgehend durch importiertes Saatgut ersetzt. Auch in Südamerika gehören die meisten Kaffeesträucher zu einer einzigen Sorte. Die Voraussetzung für die fortschreitende Verarmung der Pflanzenwelt schafften die Erkenntnisse der modernen Pflanzenbiologie. Saatgutzüchter nutzen sie seit Anfang dieses Jahrhunderts, um aus den natürlichen Gen–Ressourcen systematisch Hochertragssorten aufzubauen. Das Gen– Material dafür lieferten übrigens überwiegend Pflanzen aus der Dritten Welt. Und so steckt in den Kulturpflanzen, die heute unsere Felder und Gärten bevölkern, meist internationales Erbgut. Tiefgefrorene Gen–Pools Inzwischen werden die Hochertragssorten für teures Geld wieder in die Dritte Welt zurückex portiert und verdrängen dort die alten Landsorten, die einst das Ausgangsmaterial für ihre Züchtung bildeten. Ein Prozeß, warnen Ökologen, der irreversible Folgen haben kann. Der Gen–Pool droht nämlich weltweit zu verarmen. Wichtiges pflanzliches Erbmaterial geht verloren, das man eines Tages vielleicht brauchte, um mit neuen Sorten auf veränderte Umweltbedingungen oder unbekannte Krankheiten reagieren zu können. Die Wissenschaftler haben bislang nur einen Weg gefunden, um den Gen–Schwund aufzuhalten: Sie richten sogenannte Gen–Banken ein, in denen Pflanzensamen tiefgefroren gelagert werden. Sie bleiben keimfähig und können bei Bedarf wieder aufgetaut und ausgesät werden. Wo welche Samen lagern, und wieviel Sorten derzeit tiefgekühlt überdauern, ist nicht genau bekannt. Weltweit, schätzen Experten, seien mehr als eine Million Pflanzensorten auf Eis gelegt, die mei sten übrigens in den Industrieländern. Die Entwicklungsländer bauen erst vereinzelt eigene Gen–Banken auf. Inzwischen befürchten sie, daß sie auch in Bezug auf die Gen–Ressourcen von den Reichen abhängig werden. Denn die Zusicherung aller Länder, den freien Austausch des Gen–Materials sicherzustellen, gilt wenig, wenn politische Interessen ins Spiel kommen. Der amerikanische Saatgutexperte Pat Mooney berichtet, daß sich das Handelsembargo der amerikanischen Regierung gegen Nicaragua längst auch auf das Keimplasma der Gen–Banken bezieht. Das Land habe Pflanzenkeime aus amerikanischen Gen–Banken nicht erhalten, obwohl es sich um Material handelte, das ursprünglich aus Nicaragua stammte. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten ist die Tiefkühllagerung von Pflanzensamen fragwürdig. Die Pflanzen, so warnen Kritiker, können sich nicht mehr weiterentwickeln, wohl aber ihre Feinde, Krankheitserreger wie Bakterien und Pilze. Sie bezweifeln, daß jahrzehntelang tiefgefrorener Samen sich in einer veränderten Umwelt aussäen läßt und zu lebensfähigen, gesunden Pflanzen heranwächst. In der Saatgutbranche wird auf solcherlei umweltorientierte Überlegungen derzeit keine Rücksicht genommen. Dort potenzieren sich vielmehr die Konzentrationsbewegungen, nachdem der Fortschritt in der Bio– und Gen–Technologie gezielte Manipulationen am pflanzlichen Erbgut zuläßt. Während man mit konventionellen Vermehrungsmethoden für die Züchtung einer neuen Sorte mindestens zehn Jahre braucht, wollen Wissenschaftler mithilfe der Gen–Technologie diese Zeit auf wenige Tage verkürzen. Das Geschäft mit den Pflanzen aus dem Labor beherrschen zunehmend die Multis (siehe Teil 3 der Serie, 16.5.1987). Bayer zum Beispiel verspricht in seinem auf High Tech gestylten Forschungsmagazin research die „Rettung für Millionen“ durch „Pflanzen mit programmierten Eigenschaften“. Nachdem die Grüne Revolution versagte, verkündet der Konzern nun die gen–technische Revo lution, die den Welthunger besiegen könne. Industriegerechte Neuzüchtungen Die Pflanzen, an denen auch Hoechst, Ciba Geigy und andere Großunternehmen der Chemie– und Erdölbranche basteln, werden allerdings weniger zum Wohle der Menschheit, als vielmehr zu dem der Industrie konstruiert: Es sind sozusagen industriegerechte Pflanzen, die sowohl gegen die hausgemachten Herbizide der Multis resistent sind, als auch genau die Konzentration an Eiweiß, Zucker, Stärke oder Zellulose haben, die für die Verarbeitung in der Nahrungsmittelindustrie günstig ist. Anfang der 90er Jahre sollen die herbizid– resistenten Neuzüchtungen auf den Markt kommen. Agronomen befürchten, daß die Industriepflanzen sich durchsetzen und die Bauern noch abhängiger machen von der Preispolitik der Großen. Sie erwarten im Gefolge der neuen Sorten auch einen verstärkten Einsatz von Totalherbiziden, der die letzte Feldblume vernichten werde. Die Verarmung der Artenvielfalt, so warnen sie, werde sich mit den giftresistenten Sorten beschleunigen und die Monokultur den totalen Siegeszug antreten.Wie die Chemie–Pflanzen selbst die Herbizide verarbeiten, wieviel vom Gift in der Pflanze zurückbleibt, ist noch weitgehend ungeklärt. Doch Fragen nach der Verträglichkeit der giftresistenten Pflanzen für den Menschen oder gar ihrer Nährqualität spielen bei der Zucht anscheinend nur eine untergeordnete Rolle. Wir müssen uns notfalls eben mit dem Schlechten arrangieren, wie bei den Äpfeln etwa, wo die vitaminreichen Sorten bereits fast völlig vom Markt verschwunden sind. Durchgesetzt haben sich die Apfelsorten, die sich gut transportieren lassen. Noch kann man mit gen–technologischen Manipulationen nur von wenigen Pflanzenarten neue Varianten erzeugen. Auch die Freisetzung manipulierter Pflanzen ist in der Bundesrepublik noch untersagt. Doch der Aufbruch in ein neues botanisches Zeitalter scheint hierzulande schon beschlossen: Die Bundesregierung will bis zum Jahre 1991 für die Entwicklung der „Pflanze nach Maß“ 100 Millionen Mark locker machen. Und bis dahin ist sicher auch dafür gesorgt, daß die neue Saat aufgehen kann.
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