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■ Serbische Reaktionen auf die Verschärfung der SanktionenDie ganze Welt dreht sich um die Serben

Kurz bevor die Verschärfung der Sanktionen gegen Jugoslawien in Kraft trat, erklärte der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić, er werde die Friedenskonferenz verlassen. Als Begründung gab er an: „Ich nehme an, daß unser Parlament beschließen wird, daß wir die Friedenskonferenz verlassen werden.“ Konkret heißt das: Die UNO hört uns Serben nicht zu, sie ignoriert unsere Leistungen. Dabei haben wir Serben von vornherein den Frieden, und nur den Frieden unterstützt. Die internationale Gemeinschaft jedoch will uns Serben nicht für den Frieden kämpfen lassen. Also kämpfen wir nicht mehr dafür.

Ein David mit Paranoia statt einer Schleuder

Das Syndrom von David (wir) und Goliath (sie) ist allgegenwärtig. Der einzige Unterschied zur biblischen Geschichte ist, daß der serbische David mit Paranoia anstatt einer Schleuder bewaffnet ist. Die Hysterie ist grenzenlos. Die Verfechter der neuen Weltordnung hätten mit ihrer letzten Resolution nur gezeigt, „daß sie nicht zögern werden, alles zu zerstören, was auch nur halbwegs im Weg steht“, behauptet die Regierung der „Serbischen Republik Krajina“ in ihrer Erklärung zu Vance/Owen. „Der Sicherheitsrat gleicht dem Inquisitions-Tribunal“, urteilte Gojko Djogo, der Präsident des Verbandes der Serben in Bosnien-Herzegowina. Die Resolution sei eine Konsequenz des „machtvollen Diktats des deutschen Neoexpansionismus“, sagte Radomir Smiljanić, der Führer der „patriotischen“ Intellektuellen-Bewegung „Weiße Rose“.

Die Serben sind nicht erst jetzt die Opfer geworden, sie sind seit undenklichen Zeiten gehaßt worden. „Es besteht kein Zweifel, daß die Welt die Chance verpassen wird, ein Jahrhundert der antiserbischen Politik zu beenden“, kommentierte Miroslav Toholj, Informationsminister der „Serbischen Republik“ in Bosnien die Ablehnung von Vance/Owen. Goran Percević, der stellvertretende Parteichef der Serbischen Sozialistischen Partei (von Milošević) fügt hinzu, daß die (Sanktions-) Resolution 806 der UNO „den Höhepunkt der Ungerechtigkeit gegen die Bundesrepublik Jugoslawien“ darstelle, während Antonije Isaković, Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste, der Auffassung ist, daß „die Menschheit nun die düsterste Phase in der Geschichte der Zivilisation durchlaufe“. Milivoje Pavlović, serbischer Informationsminister, beurteilt die Situation dagegen aus einem professionellen Winkel. „Wir sind Zeugen der Zwielichtigkeit der Welt-Medien. (...) Ich bin zuversichtlich, daß diese Periode in irgendeiner zukünftigen Geschichte des Journalismus als die Phase der Ehrlosigkeit eingehen wird.“

Doch die prominenten Persönlichkeiten des heimschen politischen und öffentlichen Lebens haben es nicht bei Einschätzungen belassen. Es werden auch einige Lösungen angeboten. „Die Welt wird sich für ihre Taten eines Tages schämen,“ betont Biljana Plavšić, Vize-Präsidentin der „Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina“. „Sie werden sich nicht nur schämen, es wird tatsächlich kein Stein auf dem anderen bleiben“, sagt eine strengere Schule, der Menschen wie Momo Kapor (Mechaniker) und Miloš Sobajić (Maler) angehören. „Ich fürchte um diese Welt, die dazu neigt, den Osten anzugreifen und zu erpressen. Das ist der Krieg gegen Gott, der niemals gewonnen werden kann (...) Ein Volk, das immer unterdrückt wurde, könnte sich aus Verzweiflung in eine explosive Gewalt verwandeln und den ganzen Balkan, Europa, und die ganze neue Weltordnung in die Luft sprengen“, meint Kapor. Und Sobajić fügt hinzu: „Ich wünsche ehrlich, die Nato würde sich in irgendeine Form der militärischen Intervention stürzen. Ich bin sicher, das wäre das erste und letzte Mal“.

„Es gibt nichts, das wir nicht ertragen könnten“

Für Vojislav Šešelj, den Vorsitzenden der rechtsextremen „Serbischen Radikalen Partei“, sind die Sanktionen nichts Besonderes. „Es gibt nichts, das wir nicht ertragen könnten, solange wir gleichgesinnt und vereint sind. Dragoš Kalajić erweitert diese These um einige interessante Schlußfolgerungen: „Diese antiserbische Resolution gibt den Serben die letzte Chance, alle Illusionen und unnötigen Lasten loszuwerden. Das ist die Chance für die kopernikanische Wende in allen Aspekten der Verteidigung, für eine siegreiche Gegenoffensive.“ Es sei nun notwenidig, sich mit allen politischen und wirtschaftlichen Mächten in Europa, die gegen die neue Weltordnung sind, zu verbünden und sie „in ihrem heroischen Kampf für die Verteidigung Europas zu stärken.“ Die Aussichten sind fantastisch. „Im Bereich der Wirtschaft ist eine radikale Orientierung auf Autarkie hin erforderlich, mit denjenigen Staaten als Vorbild, die auf die Herausforderung der Sanktionen und Blockaden mit der Zuwendung zu ihren eigenen Ressourcen und Kapazitäten reagierten.“ Einige dieser Staaten hätten auf diese Weise „spektakuläre wirtschaftliche Erfolge erzielt“...

Eine Bestätigung für die These vom mythischen Volk der Serben

Konstantin Obradović ist der Ansicht, daß die einzig verbliebene Möglichkeit für die Serben die Unterzeichnung des Vance-Owen- Plans sei. Andernfalls könnte die internationale Gemeinschaft auf neue, ernsthaftere Resolutionen verfallen. Professor Gaso Knežević von der juristischen Fakultät der Universtität von Belgrad glaubt, „wenn wir den Plan nicht heute unterzeichnen, tun wir es morgen, doch wir werden dann eine Million Dinar zahlen müssen, was sonst zehn gekostet hätte.“ Diese moderaten Stimmen freuen sich nicht auf eine militärische Intervention. „Die kriegerische Lösung kann nicht in dauerhaften Frieden resultieren. (...) Die Beziehungen auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien können nicht auf dem Blut und den Gräbern neuer Opfer gegründet werden“, sagt Professor Milan Životić von der philosophischen Fakultät. „Der Balkan, die bosnische und serbische Realität, sind viel komplexer, als man im Westen denkt“, meint auch Vojislav Kostunica, der Vorsitzende der „Demokratischen Partei Serbiens“ (SDS). Er fügt hinzu, daß „die neuen Sanktionen und eine begrenzte militärische Intervention uns nicht dem Frieden, sondern einem weiteren bewaffneten Konflikt näher bringen würden“. Alles in allem scheint es, daß die Dunkelheit um uns von Jovan Marić, Professor der medizinischen Fakultät, Ethiker und Psychiater, am besten in Worte gefaßt wurde. „Manche,“ sagt Marić, “werden in Ermangelung von Medizin, Essen und allem anderen, was Gesundheit bedeutet, sterben. Einige wenige wird es in ihrer Ansicht bestätigen, daß die Serben ein mythisches Volk sind: Sie haben im Ersten Weltkrieg eine verhängnisvolle Rolle gespielt und auch im Zweiten Weltkrieg – Hilters Zeitverzug aufgrund des Angriffes auf unser Land soll angeblich die Entmachtung Stalins verhindert haben. Und jetzt schon wieder. Diese Leute sind zutiefst überzeugt, daß alles wichtige in dieser Welt sich irgendwie um die Serben dreht.“

Roksanda Nincic

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