: Serbische Intellektuelle wagen vage Kritik
Offener Brief gegen Personenkult um Slobodan Milosevic / 40 Schriftsteller und Literaten fordern unabhängige Justiz, freie Presse und Mehrparteiensystem / Unterdrückung der Albaner im Kosovo bleibt unangetastet / Belgrader Intellektuellen geht Kritik nicht weit genug ■ Aus Budapest Roland Hofwiler
Lange hat es gedauert, bis sich die serbische Schriftstellervereinigung durchringen konnte, öffentlich gegen den Personenkult um den serbischen Parteiführer Slobodan Milosevic Stellung zu nehmen. In einem offenen Brief erklärte nun am Mittwoch Borislav Mihajlovic-Mihic im Namen von über vierzig Persönlichkeiten aus dem Kulturleben in Serbien, man teile die Forderungen nach einer unabhängigen Rechtsprechung, einer freien Presse und dem Mehrparteiensystem, wie dies in Nordjugoslawien, vor allem in Slowenien, seit langem angestrebt werde. Es sei eine „Schande für Europa“, daß Belgrad, einst das „Reformzentrum Osteuropas“, inzwischen weit hinter der derzeitigen Entwicklung in Polen und Ungarn zurückgeblieben sei. Serbien, die größte Teilrepublik Jugoslawiens, müsse sich dafür einsetzen, daß ein Mehrparteiensystem geschaffen werde, da es ohne wirksame Opposition wahre Demokratie nicht geben könne.
Der Kurs des serbischen Parteichefs wird in dem Brief zwar nicht ausdrücklich zurückgewiesen, doch sind die Forderungen ein deutliches Zeichen, dem autokratischen und antidemokratischen Kurs Milosevics entgegenzutreten. Denn für Slobodan Milosevic bedeuten die demokratischen Tendenzen in Slowenien „konterrevolutionäre“ Entwicklungen, die durch die serbische Partei heftig bekämpft werden müßten. Trotz der „nationalen Verdienste“ des Serben, so heißt es in dem Brief, sei es jetzt an der Zeit, dem slowenischen Weg nachzueifern, sonst werde sich Jugoslawien in Richtung „Dritte Welt“ entwickeln und den Anschluß an die Industrieländer vollends verpassen.
Doch gleichzeitig halten sich die serbischen Schriftsteller mit Kritik an dem Kurs Milosevics gegenüber den Albanern im Kosovo zurück. Die Unterzeichner, darunter Dobrica Sosic, Mihailo Markovic, Ljubolmir Tadic oder Zagrka Golubovic, erwähnen in ihrem Brief nicht einmal das Schicksal des berühmtesten Romanciers albanischer Sprache, Adem Demaqi, der seit 28 Jahren im Gefängnis sitzt.
Für unabhängige kritische Intellektuelle in Belgrad ist der Brief daher der unzureichende Versuch, sich „um die wesentlichen politischen Fragen herumzudrücken“, und die hingen nun mal mit dem Ausnahmezustand in Kosovo zusammen. Es könne keine demokratische Entwicklung geben, wenn dort Menschen allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit verfolgt würden. Eine Bewegung für Demokratie müsse sich auch für die Menschenrechte einsetzen.
Ähnlich argumentieren slowenische Kollegen der serbischen Schriftsteller. Immerhin habe sich aber jetzt wieder etwas in Belgrad geregt, vielleicht sei das eine Basis für zukünftige Diskussionen, heißt es aus Ljubljana. Noch im Herbst letzten Jahres waren Versuche des slowensichen PEN -Zentrums gescheitert, mit ihren Belgrader Kollegen über das Kosovo-Problem zu sprechen.
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