Serbien ist Pleite: Wenn es nichts mehr zu sparen gibt
Der Staat ist pleite, die Arbeitslosigkeit nimmmt zu, die Menschen müssen sich durchschlagen. Wo sollen sie sparen, wenn es nichts zu sparen gibt?
BELGRAD taz | "Die tun gar nichts, um es der Wirtschaft irgendwie leichter zu machen und die Produktion anzukurbeln", schimpft Dejan Pantic. Der Diplomingenieur ist 44 Jahre alt und lebt in Belgrad in einer bescheidenen Eigentumswohnung. Als Miteigentümer einer kleinen Firma, die sein Vater gegründet hat und mit einem patentierten Gerät energetische Transformatoren wartet, gehört Pantic zur Mittelschicht, was in Serbien so viel heißt wie: Zumindest an Lebensmitteln muss er nicht sparen.
Er ist verheiratet, hat eine sechsjährige Tochter und ist bitterböse auf den Staat. Anstatt in der Krise kleinen und mittleren Unternehmen unter die Arme zu greifen, würden alle möglichen Steuern und Belastungen ersonnen, um die leere Staatskasse zu füllen, sagt Pantic. So sei zum Beispiel kürzlich die Kommunalgebühr für ein Firmenschild von 30.000 (etwa 285 Euro) auf 90.000 Dinar (etwa 855 Euro) erhöht worden.
Teufelskreis der Schulden
Die statistischen Angaben für Serbien sind tatsächlich alarmierend. Über 60.000 Unternehmen mit mehr als einer Million Beschäftigten sind hoch verschuldet - formal zwar nicht pleite, doch praktisch nicht mehr flüssig.
Rund 1.400 Unternehmen haben zwischen Januar und Mai offiziell Konkurs angemeldet. Der größte Schuldner ist dabei mit über 1,1 Milliarde Euro der Staat selbst. Die serbische Wirtschaft befindet sich in einem Teufelskreis der Schulden, in dem jeder jedem etwas schuldig ist und im Endeffekt die Kleinen dran glauben müssen.
Wirtschaftskraft: Der Dienstleistungssektor ist der sich am rasantesten entwickelnde Wirtschaftsbereich und macht inzwischen über die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Das BIP betrug im Jahr 2009 etwa 31,51 Milliarden Euro, das macht pro Kopf 4.304 Euro. Allgemein erreicht das BIP heutzutage nur rund 68 Prozent des jugoslawischen Niveaus von 1989, und bei einer jährlichen Wachstumsrate von 5 Prozent würde es noch 10 Jahre dauern, dieses Niveau wieder zu erreichen.
Schulden: Die Auslandsverschuldung stieg innerhalb von zehn Jahren auf das Doppelte und beläuft sich auf etwa 24 Milliarden Euro; das sind über 70 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Laut Schätzungen des IWF sollen die Außenschulden im Jahr 2010 ihren Höhepunkt erreichen und etwa 77,5 Prozent des BIP betragen. Die Gesamtverschuldung beträgt 75 Prozent des BIP. Das Handelsdefizit betrug im März 1,1 Milliarden Dollar.
Arbeitslosigkeit: Rund 737.000 Menschen sind arbeitslos, das sind 16,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Manche Experten sprechen jedoch von de facto einer Million Arbeitslosen. Der Trend ist jedenfalls steigend. 720.000 Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze.
Preise: Die Preise im Einzelhandel sind im Vergleich zum Vorjahr um 7 Prozent, die Lebenshaltungskosten um 4,4 Prozent gestiegen. Verbraucherorganisationen behaupten jedoch, dass die Kaufkraft im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent gesunken ist.
Sparpaket: Geplant sind drastische Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, eine Reform des Rentensystems, das Einfrieren von Gehältern und Renten im öffentlichen Dienst sowie der Abbau des Beamtenapparats.
"Man kann sich immer weniger für sein Geld leisten", hört man überall die unwissenschaftliche, doch treffende Beschreibung der Situation. Anders gesagt: Die Preise und die Arbeitslosenquote steigen, während die Einkommen und der Lebensstandard sinken.
Das hat zur Folge, dass der Konsum drastisch zurückgeht. Nicht weil die Bürger Serbiens besonders sparsam wären, sondern weil bei den meisten einfach kein Geld übrig bleibt.
Die Wirtschaftskrise ist in Belgrad allgegenwärtig: aufgegebene Geschäfte, halbleere Einkaufszentren. Zwar werben die großen Läden nach wie vor mit Designerklamotten von Burberry, Replay oder Nike, doch sind drinnen keine Käufer zu sehen. Dutzende pompöse Bauten, geplant als Verkaufs- und Geschäftszentren, stehen unfertig in der Gegend herum - den Bauunternehmern ist das Geld ausgegangen, Käufer für die Bauruinen gibt es nicht. Trotzdem sinken die Preise kaum, weder auf dem Immobilienmarkt noch im Kleinhandel.
Es herrscht ein Eindruck von absoluter Stagnation. Alle scheinen darauf zu warten, dass etwas geschieht und sich der Stillstand von allein auflöst.
Wenn er den Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic sagen hört, dass Serbien nun das Schlimmste überstanden habe und die Rezession vorbei sei, gerät Ingenieur Dejan Pantic in Wut.
"Alles Lügen!", schimpft er. "Nur weil es bald zu vorgezogenen Parlamentswahlen kommen könnte." Die serbische Staatskasse ist leer, der Staat jongliert am Rande des Bankrotts. Das Land ist auf Kredite von internationalen Finanzorganisationen angewiesen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) genehmigte Serbien rund 3 Milliarden Euro, die in drei Raten ausgezahlt werden sollen - geknüpft an bestimmte Sparauflagen: Kürzung der öffentlichen Ausgaben, Abbau des staatlichen Verwaltungsapparates, Reform des Rentensystems und Einfrieren der Renten und Gehälter im öffentlichen Dienst.
Wirtschaftsminister Dinkic findet dagegen, dass Gehälter und Renten erhöht werden sollten, um den Konsum und die Wirtschaft anzukurbeln.
"Quatsch", meint Wirtschaftsprofessor Miodrag Zec. In Serbien herrsche die verkehrte Logik: "Gib mir ein höheres Gehalt, damit ich die hohen Preise zahlen kann."
"Wenn der Staat nichts hat, kann man auch nichts verteilen", sagt Zec. Seine Diagnose: Die serbische Wirtschaft habe zu viel in Banken, Versicherungen oder Shopping-Malls investiert und zu wenig in die Produktion.
"Das war falsch", sagt Zec. "Früher oder später werden die Händler einsehen, dass sie auf eine immer geringere Nachfrage auch reagieren müssen."
Andere Wirtschaftsexperten sind zu dem Schluss gekommen, dass in Serbien noch immer kein marktwirtschaftliches Denken herrscht und der Markt deshalb nur träge auf Veränderungen reagiert.
Dazu muss man wissen, dass serbische Oligarchen wie etwa Miroslav Miskovic mit seiner Delta-Holding entgegen jeglicher marktwirtschaftlichen Logik, nämlich durch politische Kontakte und gesicherte Monopole zu ihrem Reichtum gekommen sind.
"Was immer die erzählen, der Staat spart de facto überhaupt nicht", sagt Dejan Pantic. Auch deshalb, weil es im Grunde genommen nichts zu sparen gibt. Die unerwünschte, doch effektivste Sparmaßnahme in Serbien ist die wilde Talfahrt der einheimischen Währung.
Im Januar bezahlte man für einen Euro noch rund 95 Dinar, Anfang August über 106 Dinar. Und das, obwohl die Nationalbank seit Jahresbeginn mit einer Milliarde und 687 Millionen Euro aus den Devisenreserven auf dem Devisenmarkt interveniert hat, um allzu große Schwankungen des Dinars aufzufangen.
"Gott sei Dank habe ich keine Kredite laufen", sagt Dejan Pantic. Kredite sind größtenteils an den Euro gebunden. Die entweder eingefrorenen oder gekürzten Gehälter werden aber in Dinar ausgezahlt. Privatpersonen wie auch Unternehmen kommen immer mehr in Verlegenheit und können die Kreditraten nicht mehr bezahlen.
Eine Bekannte von Pantic, die Ärztin in einem staatlichen Krankenhaus ist, musste für einen Hypothekenkredit vor knapp zwei Jahren ein Drittel ihres Gehaltes hinblättern; jetzt braucht sie dafür mehr als die Hälfte ihres Einkommens.
Infolge des Dinar-Absturzes folgt eine Teuerungswelle auf die andere. Nachdem schon Telefon, Kommunalabgaben, Strom, Heizung, Benzin und Zigaretten teurer geworden sind, werden im Herbst auch die Preise für Grundnahrungsmittel erneut um 5 bis 20 Prozent steigen.
"Der Staat erhöht die Steuern, wo er nur kann, um dadurch künstlich die leere Staatskasse zu füllen", erklärt Pantic verbittert. "Ich habe zum Beispiel zwei Angestellte. Und auf jede 1.000 Dinar, die ich ihnen zahle, muss ich überdies dem Staat noch 650 Dinar für die Sozialversicherung hinblättern."
Da können kleine und mittlere Unternehmen nicht mithalten. Um überleben zu können, wird nur ein geringer Teil der Arbeitnehmer gemeldet, der Rest arbeitet schwarz.
Durch enorme unrealistische Abgaben fördere der Staat die graue Wirtschaft, statt sie zu bekämpfen, sagt Dejan. Kleine Unternehmen stünden täglich vor der Wahl, entweder in die Grauzone illegaler Beschäftigung zu rutschen oder pleitezugehen.
Seit 20 Jahren Krise
Die meisten Geschäfte macht Pantic' Firma im benachbarten Rumänien. Der Jahresumsatz beträgt rund 100.000 Euro, sein Monatseinkommen liegt im Schnitt bei 1.400 Euro. "Mit dem Geld können wir gerade normal, ohne jeglichen Luxus leben", beteuert Pantic. "Seit drei Jahren war ich nicht in Urlaub, und außer für das Kind kaufen wir keine neue Kleidung."
Vergleichsweise geht es Dejan Pantic und seiner Familie noch gut. Ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen beträgt in Serbien 282 Euro. Allein für die Miete muss man im Schnitt 84 Euro im Monat aufbringen.
Wenn man außerdem jeden Tag ein Brot und einen Liter Milch kauft, kommt man schon auf 164 Euro, rechnet Pantic vor. "Sparen ist in Serbien eine Überlebenskunst", sagt er, "mit dem westlichen Verständnis des Terminus im Sinne von ,Geld zurücklegen' hat das nichts zu tun."
Wenn Regierung und Behörden mal wieder von Sparmaßnahmen reden, kommt das bei den Serben als schlechter Witz an. Seit zwei Jahrzehnten - nach dem Wirtschaftsembargo, einer Rekordinflation, den Luftangriffen der Nato - müssen die Menschen den Gürtel immer enger schnallen.
Die demokratische Wende vor einem Jahrzehnt war mit der Hoffnung auf ein besseres Leben verbunden. Doch die soziale Misere wächst, ein Ende ist nicht in Sicht.
"Lange geht das nicht mehr gut", meint Dejan. Die allgemeine Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit könnten schnell in soziale Unruhen umschlagen. Es sei regelrecht unheimlich, der Machtlosigkeit des in weiten Teilen korrupten Staates zuzuschauen. Da fallen selbst Berufsoptimisten keine rosigen Versprechen mehr ein.
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