: Senator Böger: Versetzung gefährdet
Heute gibt es Zeugnisse. Bestnoten für Fleiß bekommt Schulsenator Klaus Böger selbst von seinen Kritikern. Doch die messbaren Ergebnisse seiner Arbeit seien mangelhaft. Ob er nach der Abgeordnetenhauswahl im Amt bleiben darf, ist offen
VON ALKE WIERTH
„Klaus hat in diesem Jahr sehr fleißig gearbeitet.“ Dieser Satz könnte im Zeugnis von Schulsenator Klaus Böger (SPD) stehen – wenn er ein Erst-, Zweit- oder Drittklässler wäre. Doch in den folgenden Klassen gibt es Noten, und dabei zählen weniger die Anstrengungen als vielmehr messbare Ergebnisse. Und was die betrifft, fällt die Beurteilung des Senators eher düster aus.
Dabei hat Böger wirklich ein anstrengendes Schuljahr hinter sich. Da war die Grundschulreform, die mit der Abschaffung der Vorschulen, der Herabsetzung des Einschulungsalters und der Umstellung der meisten Grundschulen auf offenen oder verbindlichen Ganztagsbetrieb für viel Protest sorgte. Da war die Entscheidung für den Ethikunterricht, der vom kommenden Schuljahr an ab der 7. Klasse Pflichtfach wird. Da waren die Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss, die zum ersten Mal in allen zehnten Klassen durchgeführt wurden. Außerdem gab es hitzige Debatten um Dauerthemen wie Gewalt an Schulen, Lehrermangel oder die Probleme mancher Migrantenkinder im Bildungssystem.
Allein schon aus dieser Vielfalt an Themen entsteht für den Bildungssenator ein Problem. Keiner seiner SenatskollegInnen steht so häufig im Rampenlicht wie er. Und während ebenfalls sehr gefragte SPD-Kollegen wie Innensenator Ehrhart Körting oder Finanzsenator Thilo Sarrazin heikle Fragen gerne einsilbig beantworten, redet Böger gern – und muss sich deshalb manches Mal selber neu interpretieren.
Zum Beispiel beim Thema gewalttätige Schüler: In eigens eingerichteten Sonderschulen sollten sie unterrichtet werden, ließ Böger Mitte Juni verlauten. Der Protest ließ nicht auf sich warten: In dieser Weise das dreigliedrige Schulsystem noch weiter aufzuspalten sei Unsinn, meinte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW); selbst die CDU lehnte solche Extraschulen als potenzielle „Horte der Gewalt“ ab. Jetzt ist auch Böger gegen seinen Vorschlag: Es werde die Möglichkeit erwogen, solche Schüler an Schulen in anderen Bundesländern unterzubringen, erklärte er gestern.
Ähnlich geht es dem Schulsenator mit dem Dauerthema Lehrermangel. „105 Prozent“ – so lautet die magische Zahl, die der Senator gerne und oft wiederholt. Gemeint ist: Jede Schule hat 5 Prozent mehr Lehrerstunden, als sie gemäß ihrer Schülerzahlen bräuchte. In Fachkreisen löst die magische Zahl bestenfalls Gelächter aus. Denn praktisch erreichten viele Schulen nicht einmal eine hundertprozentige Lehrerausstattung. Der Schulsenator rechnet nämlich in seine Zahlen auch die dauerhaft erkrankten Lehrer ein. Dass das in Berlin immerhin knapp 900 von insgesamt 30.000 Lehrern sind, teilte Böger kürzlich selber mit, einschließlich des zerknirschten Eingeständnisses, es könne „zu Engpässen kommen“.
Da offenbart sich ein zweites großes Problem des Bildungssenators. Es heißt Thilo Sarrazin, ist sein Parteikollege und vor allem Finanzsenator. Daran, dass in Bögers Zeugnis die Bewertung der Anstrengungen und der Ergebnisse so unterschiedlich ausfällt, ist nicht zuletzt Berlins Obersparer schuld.
„Klaus sollte sich neue Freunde suchen“, möchte die GEW-Vorsitzende Rose-Marie Seggelke deshalb dem Schulsenator ins Zeugnis schreiben. Freunde, „die ihm dabei helfen, Sarrazin in die Schranken zu weisen“. Die seien, schlägt die Gewerkschaftlerin vor, unter Schülern, Eltern – und den Lehrern zu suchen.
Gerade bei denen hat Klaus Böger aber im vergangenen Jahr Sympathien verloren. Allein gelassen fühlten sich nicht nur die Lehrer der Rütli-Schule, die erst mit einem Brief über unhaltbare Zustände an ihrer Neuköllner Hauptschule an die Öffentlichkeit gehen mussten, bevor die Bildungsverwaltung reagierte. Auch an vielen Grundschulen haben Schüler, Eltern und Lehrer nicht das Gefühl, mit ihren aus der Grundschulreform resultierenden Problemen beim Schulsenator Gehör zu finden.
Eigentlich hätte die Reform einen „Kick“ an die Schulen bringen können, sagt Inge Hirschmann, Vorsitzende des Berliner Grundschulverbandes und Leiterin einer Kreuzberger Grundschule. Aber die Bedingungen der Umsetzung verhinderten dies: Räumlich und personell seien viele Schulen nicht gut genug ausgestattet, um die Reform tatsächlich zu einem Erfolg werden zu lassen. Vor allem in sozial benachteiligten Gebieten förderten diese Probleme die weitere Abwanderung von engagierten Eltern und verstärkten damit die Segregation.
Dass das sicher nicht Bögers Absicht ist, schreibt ihm ausgerechnet jemand ins Zeugnis, der sich in den vergangenen Monaten oft über den Schulsenator geärgert hat: Safter Cinar, Sprecher des Türkischen Bundes Berlin. In Bezug auf die Hoover-Realschule, die sich eine Deutschpflicht in die Schulordnung schrieb und von Böger dafür gelobt wurde, habe der Senator „Mist gebaut“, meint Cinar. Aber: „Er ist einer der wenigen Politiker, die ich ab und zu lobe.“ Denn Böger habe, gerade was die Situation von Kindern aus Zuwandererfamilien betrifft, „großes Engagement gezeigt“, so Cinar: „Das ist für ihn kein Randaspekt.“
GEW-Vorsitzende Rose-Marie Seggelke sieht Bögers Versetzung dennoch gefährdet. Er solle in den Ferien viel nacharbeiten, würde die Gewerkschafterin dem Schüler Klaus empfehlen.
Ob das für eine Versetzung allerdings ausreicht, ist unklar. Denn nicht nur Genosse Sarrazin versagt Böger manchmal die notwendige Unterstützung. Der Politologe und ehemalige Berufsschullehrer, seit 1968 Mitglied der SPD, wird nicht mehr ins Abgeordnetenhaus einziehen. Seine Partei hat ihm einen sicheren Wahlkreis verwehrt, und auf der Landesliste steht Böger auch nicht. Die Diskussion, ob er auch nach der Wahl im September Schulsenator bleibt, hat schon begonnen.