Senat startet Kampagne zur Ausbildung: In der Not kommen auch Migranten zum Zug
Senat und Wirtschaft wollen den Migrantenanteil von Azubis deutlich erhöhen.
Die Migranten sollen es richten: Hunderttausende zusätzliche Fachkräfte braucht das Land in den nächsten Jahren, dazu geht die Zahl der Schulabgänger zurück. Wenn nichts passiert, bleiben Ausbildungsplätze in Industrie, Handel und Handwerk künftig leer. Senat und Wirtschaft wollen daher verstärkt Jugendliche mit ausländischem Pass und nichtdeutscher Familiensprache an Firmen heranführen. "Berlins Wirtschaft braucht dich" heißt die Kampagne, bei der auch vier Firmen Ausbildungsplätze speziell für Migranten schaffen wollen.
"Wir verbinden die Fachkräftesicherung mit der Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund", sagte Arbeitssenatorin Carola Bluhm (Linke) am Montag und sprach von einer "Riesenchance". Der Senat hat eine Internetplattform geschaltet und Plakate aufhängen lassen. Mit mehr als einer halben Million Euro sollen Eltern über Schul- und Berufswahlsystem informiert sowie Migrantinnen und Migranten bei der Ausbildung unterstützt werden.
Die Kammern wollen ihre Mitglieder von den Vorteilen überzeugen, wenn der Betrieb multikultureller wird. Den Firmen gehe es darum, langfristig Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, sagte der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK), Eric Schweitzer. Laut einer Studie brauchen Berlin und Brandenburg 450.000 zusätzliche Fachkräfte bis 2030. Die Zahl der Schulabgänger geht jährlich um etwa 5.000 zurück, zugleich dürfte die Zahl der Abgänger mit Migrationshintergrund in absehbarer Zeit auf 50 Prozent steigen, was sich in den Ausbildungszahlen bisher überhaupt nicht widerspiegelt. Senatorin Bluhm sprach von knapp 5 Prozent Lehrlingen mit ausländischem Pass.
Unternehmen profitierten von Migranten nicht nur wegen deren Arbeitskraft, sagte Schweitzer. "Sie lernen Multikulturalität." Sein Kollege Stephan Schwarz von der Handwerkskammer (HWK) appellierte ebenfalls an Betriebe, junge Migranten als Chance zu sehen. "Denken Sie an die Sprachkompetenzen, die das Handwerk sehr gut nutzen kann", sagte Schwarz. Er verwies darauf, dass die Geschäfte mit Nachbarländern zunähmen.
Auch Schüler sollen mit der Kampagne angestupst werden. Häufig trauten sie sich nicht, eine Ausbildung zu beginnen, sagte Schwarz. "Das Übergangssystem von der Schule zum Beruf ist sehr wichtig." Seiner Ansicht nach werden die Firmen zunehmend dafür sensibilisiert. Im vergangenen Jahr hätten HWK-Berater 750 Gespräche mit Firmen geführt, die Migranten einstellen wollen.
Beim Gebäudereiniger Gegenbauer etwa lernen derzeit 2 Prozent Jugendliche mit Migrationshintergrund im dritten Jahr, im ersten Ausbildungsjahr sind es 13 Prozent. "Wir wollen den Anteil auf 20 Prozent erhöhen", sagte Personaldirektor Claus Kohls. Gegenbauer spricht auf Messen gezielt Migranten an, hat bei Kooperationen mit Schulen die Zielgruppe im Blick und wird Plätze für Jugendliche mit Migrationshintergrund bereitstellen. Auf eine Quote wollen sich Senat und Wirtschaft nicht festlegen. Dem Vorwurf, eine Kampagne allein entfalte noch keine Wirkung, setzte Bluhm Zahlen entgegen: Für landeseigene Betriebe hatte die Regierung vor drei Jahren eine ähnliche Aktion gestartet. Seitdem habe sich der Migrantenanteil bei Azubis auf 19 Prozent verdreifacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag