■ Zur Debatte um Handkes Text über Serbien: Seltsame Streitkultur
Daß sein „Gerechtigkeit für Serbien“ fordernder Essay Diskussion und Widerspruch auslösen würde, dessen konnte sich der österreichische Schriftsteller Peter Handke sicher sein. Seine politischen Auslassungen offenbaren, daß er sich mit den Ursachen und Hintergründen des Krieges nicht einmal ansatzweise beschäftigt hat. Sie sind so absurd, daß man sich gar nicht veranlaßt sieht, sie zu widerlegen. Ich frage mich nur, ob die Zurückweisung von absurden Tatsachenverdrehungen ein Streit verschiedener Meinungen bedeutet. Oder wird man etwa mit Ernst Nolte darüber polemisieren, ob die Lagerinsassen in Auschwitz vorwiegend durch Seuchen, also nicht massenhaft durch Vergasung ums Leben gekommen seien?
Die Diskussion über die Krise in Exjugoslawien und den darauffolgenden Krieg war, nicht nur, in der Bundesrepublik gerade durch eine umstandslose Mischung aus sachkundigen und ignoranten Beiträgen, emotionalen Auslassungen, stichhaltiger Argumentation und einseitiger Parteinahme geprägt. Der Mangel an Unterscheidungskriterien hat dazu geführt, daß die Debatte den Charakter einer Polemik zwischen bloß verschiedenen Ansichten und Meinungen bekam und daß elementare Begriffe und evidente Tatsachen nach Lust und Laune in Frage gestellt wurden.
In der deutschen Debatte haben Richtigstellungen offenbar keine Geltung. Und so werden die Richtigstellungen von Handkes unverschämten tatsachenwidrigen Behauptungen unter dem Titel „Streit“ behandelt. Weil in der Diskussion über den Krieg für Großserbien auch offensichtliche Unwahrheiten als „eben eine andere Meinung“ akzeptiert werden, erscheinen auch sachkundige Beiträge als „subjektive Meinungen“, denen man beliebig „Einseitigkeit“ zuschreiben kann. Gemessen an der grausamen Wirklichkeit haftet deshalb der deutschen Debatte etwas von jener Ungerechtigkeit an, von der Handkes – angeblich um Gerechtigkeit bemühter – Essay nur so strotzt. Dunja Melćić
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