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■ SeitenstichKernspaltung im Ernst-Waldau-Theater

Seitenstich

Kernspaltung im Ernst-Waldau-Theater

Nein, es nimmt kein Ende mit der Possierlichkeit. Seit Jahren taumelt das Ernst-Waldau- Theater vor sich hin ohne Sinn und Verstand, beseelt nur noch vom Irrwitz der Intriganten und vom Feuer der Putschisten, die sich in allen erdenklichen Koalitionen gegenseitig stürzen, aufpäppeln, vergiften und zu Gurkenkönigen krönen. In der Mitten wankten immer angefochten, doch unversehrt die Chefin Ingrid Waldau-Andersen und als Hallodri mit Schurkenschnäuzer ihr Rolf B. Wessels, bis die beiden endlich selber einer plötzlichen Kündigung erlagen und zu Boden gingen.

Schon dachte man, nun habe sich's langsam ausgemeuchelt, da wird das abgelebte Paar wieder lebendig, nur um nun auch noch den allerletzten Schritt zu tun und übereinander herzufallen: Neulich konnte die auch als Volksschauspielerin bekannte Waldau-Andersen auf zwei Abendvorstellungen nicht erscheinen, weil sie volltrunken war; die Souffleuse sprach in der Not den Rollentext hinterm Seitenvorhang, und das Stück nahm leidlich seinen Fortgang. Wenig später aber schäumte auf einer Betriebsversammlung Rolf B. Wessels, welcher nachweislich immer noch am meisten verträgt: „Die kommt mir nicht mehr auf die Bühne!“ Aufgewühlte Schauspieler berichten, der Wessels habe seine Frühere systematisch besoffen gemacht, um sie zu vernichten; jedenfalls werden jetzt im Theater wieder Gräben gegraben, die Verwirrung wächst ins Maßlose, und keiner kennt mehr Freund noch Feind.

Halt! ruft da der Kenner. Waren nicht die zwei Süßen, ob vereint oder entzweit, längst gefeuert? Hatte nicht die Kultursenatorin, nach Ablauf ungezählter Ultimaten, einen „Neuanfang mit neuen Leuten“ gefordert?

Hier tritt nun der „Freundeskreis“ des Theaters in Kraft, zu welchem sich ein Häuflein ausgeleierter Honoratioren erklärt hatte, allen voran Friedrich Rebers von der Sparkasse, der es mittlerweile wohl lieber gar nicht gewesen wäre. Aber ja, sogleich hat der „Freundeskreis“ die Kündigung annulliert. Die Kultursenatorin zahlt dennoch seither wieder brav ihre eineinhalb Millionen im Jahr. Die Theatergeschäfte indes übernahm allen Ernstes der ehrengeachtete Reformhausbesitzer Helmut Zorn. Eine künstlerische Leitung gibt es aber, trotz aller Beteuerungen und Fristverlängerungen, immer noch nicht. Namen tauchen auf und sinken hin. Umso leibhaftiger sieht man Waldau und Wessels in allen Ecken werkeln. Die Besucherzahlen dagegen, weil ja die Leute auch nicht dumm sind, stagnieren vor sich hin; und man sieht's schon kommen, daß das Theater demnächst vor unsern Augen entschwindet ins vollends Sternhagelblaue.

Neinnein, in Kürze, schon bald, ja noch diese Woche werde man eine neue Leitung haben, so tiriliert's auf Anfrage vollautomatisch aus dem Rechtsanwalt Gätjen vom „Freundeskreis“. Neinnein, sonstige und gar nähere Auskünfte seien nicht zu haben, „das wäre ja heller Wahnsinn jetzt!“ Nicht einmal in punkto Waldau und Wessels ist die Lage zu klären: Rebers sagt, die beiden haben einen Vertrag, Gätjen sagt, sie haben keinen.

Ich sage: Wolle doch bitte die Kultursenatorin bedenken, ob sie noch länger kuschen möchte. Manfred Dworschak

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