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■ Seit Jahren stellen Forscher ein weltweites Sinken der Froschpopulationen fest. Ursache: Umweltzerstörung. Aber warum sind Frösche aus Bergregionen besonders betroffen? Neue Forschungen machen...Das rätselhafte Sterben der Frösche

Seit Jahren stellen Forscher ein weltweites Sinken der Froschpopulationen fest. Ursache: Umweltzerstörung. Aber warum sind Frösche aus Bergregionen besonders betroffen? Neue Forschungen machen die schwindende Ozonschicht verantwortlich.

Das rätselhafte Sterben der Frösche

Rufus ist die Attraktion im Londoner Zoo, jeder will ihn sehen – Rufus ist der erste rote Frosch der Welt, und alle Zeitungen, die mit bunten Bildern arbeiten, brachten sein Bild. Pfleger und Forscher meinen es gut mit dem verzauberten Lurch, fieberhaft sind sie auf der Suche nach einer Gefährtin, die auf Rufus' ungewöhnliches Aussehen steht. Nicht etwa, auf daß er sich nach dem ersten Kuß in einen Prinzen verwandele, sondern um herauszufinden, ob sich Rufus' Pigmentstörung auch bei beider Nachwuchs offenbart.

Londons berühmteste Amphibie hat Experten zufolge zu lange in der Sonne gesessen: Rufus' Haut, unter normalen Bedingungen mit Mechanismen ausgestattet, um auch intensivste Sonneneinstrahlung zu parieren, hatte gegen die zu energiereiche ultraviolette Strahlung (UV) keine Chance. Zwar sind die berüchtigten „Ozonlöcher“ (noch) auf die Polargebiete beschränkt, aber ein gewisses Schwinden der Ozonschicht ist inzwischen auch in globalem Maßstab zu verzeichnen.

Dabei hatte Rufus noch Glück, immerhin hat er den Angriff der Killerstrahlen überlebt. Was nach neuesten Erkenntnissen zweier US-amerikanischer Froschforscher für Millionen seiner Artgenossen nicht behauptet werden kann: Überall auf der Welt ist seit einigen Jahren ein schleichendes Massensterben von Fröschen, Kröten und ihrer Verwandtschaft im Gange. Die Forscher vermuten, daß die UV-Strahlung dabei eine wichtige Rolle spielt.

Innerhalb von 20 Jahren, so haben Andrew Blaustein und David Wake herausgefunden, ist der Bestand etwa der Bergfrösche im Sequoia National Park in Kalifornien um 98 Prozent zurückgegangen. Im australischen Queensland wurden zwei Arten von Magenbrüter- Fröschen seit 15 Jahren nicht mehr gesehen, und auch die in Deutschland früher häufig anzutreffende Erdkröte wird immer seltener. In Costa Rica ist die für ihre Schönheit berühmte Goldkröte seit sechs Jahren nicht mehr gesichtet worden.

Zwar hat jeder beobachtete Rückgang nach den Erkenntnissen der beiden US-Professoren seine jeweils eigenen Ursachen. Dennoch gibt es globale Gemeinsamkeiten. Zu den Hauptursachen zählen, abgesehen vom Verzehr von Froschschenkeln vor allem in Frankreich, die Zerstörung der Lebensräume, die Trockenlegung von Feuchtgebieten und das Abholzen von Wäldern.

Und eben der Ozonschwund in der Stratosphäre, wie Blaustein und Wake nach langjährigen Beobachtungen und Experimenten im Labor entdeckt haben. Denn auffällig oft sind solche Arten betroffen, die in Bergregionen oberhalb von tausend Metern leben – je höher der Lebensraum, desto intensiver die UV-Strahlung.

In sorgfältigen Untersuchungen haben Blaustein und Wake ihre Hypothese überprüft. In ihrem vielbeachteten Aufsatz „The Puzzle of Declining Amphibian Populations“ in Scientific American von April 1995 kommen sie zu dem Schluß, daß nicht nur ihre feuchte und durchlässige Haut Frösche anfällig macht für Krankheiten, Klimaveränderungen und Umweltverschmutzung. Schon ihr in Teichen abgelegter Laich kann durch das UV-Licht geschädigt werden. Die ungebremste Strahlung kann die Erbsubstanz zerstören, so daß in einzelnen Fällen nur aus zehn Prozent der glibbrigen Masse überhaupt Kaulquappen schlüpfen, manche nicht richtig wachsen, andere sich nicht normal entwickeln können.

Schon bei früheren Feldforschungen war Blaustein in den Bergen Oregons ein massenhaftes Sterben befruchteten Laichs aufgefallen. Dabei hatte er registriert, daß die chemische Zusammensetzung des Wassers, in das die Tiere ihren Nachwuchs ablegten, nicht taugte. Bei einem Laborversuch mit exakt jenem verschmutzten Wasser mußten die Forscher aber zu ihrer Überraschung feststellen, daß die Embryonen ganz normal schlüpften. Etwa zur gleichen Zeit hatte ein Kollege in seinem Labor Embryonen starker UV-Strahlung ausgesetzt und dabei die Feststellung gemacht, daß diese sich anomal entwickelten.

Nachdem also ein Zusammenhang zwischen Populationsrückgang und vermindertem Schutz gegen UV-Strahlung nicht mehr auszuschließen war, galt es, dies empirisch zu erhärten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Froscharten über unterschiedlich starke Abwehrmechanismen verfügen unternahm Blausteins Team ein Experiment. An Seen und Tümpel stellte die Gruppe an jenen Stellen Behälter auf, wo jede Spezies bekanntermaßen ihren Nachwuchs deponierte: ein Drittel offen, ein anderes Drittel mit Plastik, das letzte Drittel mit einer strahlendurchlässigen Folie bedeckt.

Das Ergebnis – ein Drama: Über neunzig Prozent des gegen die Strahlen ungeschützten Laichs war abgestorben, vom geschützten Teil war immerhin 45 Prozent später geschlüpft.

Das amphibische Massensterben, von der wissenschaftlichen Gemeinde als weltweites Phänomen erstmals 1990 erkannt, sollte den Menschen eine Warnung sein, sagen Blaustein und Wake. Für den Umweltforscher von der Oregon State University in Portland und den Verhaltensbiologen aus dem kalifornischen Berkeley ist das rätselhafte Verschwinden der Frösche Indiz für den sich verschlechternden Gesundheitszustand des Planeten überhaupt. Aus mehreren Gründen.

Amphibien, das ist nicht erst seit den Forschungsergebnissen von Blaustein und Wake bekannt, stehen ihr ganzes Leben lang in engem Kontakt mit den verschiedensten Komponenten ihrer natürlichen Umgebung: Als Kaulquappen leben Frösche ausschließlich im Wasser, als geschlechtsreife Tiere zumindest partiell auf dem Land. Von Pflanzenfressern mutieren sie zu Fleischfressern, und schon die „Eier“ sind, weil ohne Schale, beständig Erde, Wasser und Sonne ausgesetzt. Auch sind Amphibien heimatverbunden.

Von ihren jeweiligen Lebenserfahrungen sind daher Rückschlüsse auf Lebensbedingungen auch anderer Spezien erlaubt: Was Fröschen widerfährt, geschieht schließlich in einem Raum, in dem auch Menschen leben.

Solange die Beeinträchtigung ihrer Lebensräume sich so langsam vollzog wie etwa in den letzten 3.000 Jahren in Westeuropa, waren Amphibien stets in der Lage, sich den vom Menschen verursachten Veränderungen der natürlichen Umwelt anzupassen. Jene Veränderungen jedoch, die mit der Industriegesellschaft einsetzten, kamen so plötzlich und in so rascher Folge, daß sich bestimmte Froscharten heute nicht mehr schnell genug umstellen können. Wenn tatsächlich, wie Blaustein und Wake behaupten, die verstärkte UV-Strahlung die Reproduktion vieler Amphibienarten derart massiv beeinträchtigt, dürfte der Planet in absehbarer Zeit um eine ganze Gattung ärmer sein.

Und das wird uns noch teuer zu stehen kommen, meinen Andrew Blaustein und David Wake. Denn Amphibien sind nützliche Tiere. Ihre Haut sondert Sekrete ab, die schon heute zum Teil zu Medikamenten verarbeitet werden: Herzkranke etwa kommen in den Genuß der Extrakte oder Patienten mit schweren Verbrennungen. Andere Substanzen werden zur Zeit darauf untersucht, ob man mit ihnen Bakterien und Viren zu Leibe rücken kann. Die Hautsekrete des afrikanischen Krallenfrosches enthalten ein Antibiotikum, das sich in naher Zukunft als die aufregendste medizinische Entdeckung seit dem Penicillin erweisen könnte – im Labor tötet es Bakterien schon beim ersten Kontakt.

Wenn also die Menschheit in ihrem Fortschrittswahn die Lebensräume der Frösche immer weiter zerstört, so warnen Blaustein und Wake, werden sie endgültig verschwinden – und mit ihnen vielhundertfache Möglichkeiten auch für den Menschen, die eigene Haut zu retten. Henk Raijer

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