piwik no script img

SeewetterberichtUnd leise rauscht das Meer

Der Seewetterbericht erfreut täglich Matrosen, Seebären und solche, die es gerne wären.

Hat wohl den Seewetterberciht nicht aufmerksam genug verfolgt Bild: dpa

"In den nächsten 24 Stunden ist in allen Vorhersagegebieten mit Starkwind oder Sturm zu rechnen." So beginnt ein Seewetterbericht von Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk. Dazu gibt es Gänsehaut. Denn es rauscht im Hintergrund, und der Sprecher verliest die Wetterlage absichtlich langsam, deutlich und laut.

Statt zu sagen "Ostwind fünf bis sechs Windstärken" sagt er "Ooost fünf", macht dann eine Pause und sagt "bis sechs", damit Ost bei Nebengeräuschen möglicherweise nicht mit West verwechselt wird. Selbst wenn man nicht auf einem Boot hockt, sieht man sie deutlich vor sich: All die Fischer in ihrem gelben Ölzeug, die Ohren fest an die Lautsprecher ihrer Weltempfänger gepresst, sorgenvoll den Horizont nach einer Wetterverschlechterung absuchend.

Viermal täglich senden Deutschlandradio und Deutschlandfunk die Seewetternachrichten. Immer mit dem gleichen Aufbau: Wetterlage, Vorhersagen und Stationsmeldungen. Und immer weiß man, was man bekommt. Anders als beim "Tatort" am Sonntagabend gibt es beim Wetterbericht keine Enttäuschung. Er entbehrt nie einer gewissen Dramatik. Selbst wenn es keine Sturmwarnungen gibt und der Sprecher nur "umlaufende Winde zwei bis drei" vorhersagt, bleiben die bedeutungsvollen Pausen zwischen den Ansagen. Eigentlich besteht der Wetterbericht in erster Linie aus gut inszenierten Pausen.

Wirkungsvoller als perfekt komponierte Filmmusik lässt die Kunstpause das Adrenalin in die Adern rauschen. Man erwartet Sturm, Wind, Eskalation. West sieben, in Böen acht, zunehmend neun. Kommt dann die Entwarnung, mit entspannten vier Windstärken aus der richtigen Richtung, wird mit Endorphinen nachgespült. Täglich entscheidet der Wetterbericht über die Urlaubspläne ehrgeiziger Freizeitsegler. Wird noch was aus der Inselumrundung?

Besonders zu empfehlen ist der Wetterbericht aber für Seefahrer im Exil oder auch solche, die es gerne wären. Die im Sommer in einer Großstadt festsitzen, während die Küste sehr, sehr weit weg ist. Dann hilft es, um 1.05 Uhr, 6.40 Uhr, 11.05 Uhr oder 21.05 Uhr einen Weltempfänger anzuschalten, die Ohrmuschel ganz fest an den Lautsprecher zu drücken. Und zu warten. Auf das Rauschen. Und auf die Pausen. Und wenn man sich ein bisschen konzentriert, kann man im Hintergrund leise das Meer rollen hören.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!