Seenotretter ohne Schiff: Und jetzt, Julian Pahlke?

Die NGO »Jugend Rettet« wurde von neun Twentysomethings gegründet. Sie hat vierzehntausend Menschen vor dem Tod im Mittelmeer gerettet. Und musste viele zurücklassen. Pahlke, 26, ist Vorstandsmitglied, Student und lebt in Berlin.

Bild: Anja Weber

Interview: Peter Unfried

taz FUTURZWEI: Herr Pahlke, das Rettungsschiff Iuventa von »Jugend Rettet« ist seit letzten Sommer vom italienischen Staat beschlagnahmt, gegen Sie wird wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung ermittelt. Wie geht es weiter?

Julian Pahlke: Wir haben nicht nur die italienische Justiz gegen uns, sondern die Malteser, den österreichischen Bundeskanzler und den deutschen Innenminister. Aber wir hoffen darauf, unser Schiff über die Klage vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wiederzubekommen. Die Frage ist, wie schnell das gehen kann. Wenn wir die Möglichkeit haben, versuchen wir auch, ein anderes Schiff zu bekommen.

Die italienische Justiz wirft Ihnen vor, mit den Schleppern gemeinsame Sache zu machen.

Die Schlepper sind skrupellose Geschäftemacher, die die Untätigkeit der Staaten und ihrer Politik ausnutzen. Die NGOs versuchen, das auszubaden. Fakt ist, dass die Menschen aus dem Land raus müssen, die können nicht in Libyen bleiben, die werden hier erpresst, gefoltert, vergewaltigt, die begeben sich mit nichts als einem T-Shirt am Leib in die Hand der Schlepper.

Was hat Sie persönlich dazu gebracht, mit eigenen Händen Menschen aus dem Mittelmeer zu retten?

Wenn man in Europa aufgewachsen ist, das für Freiheit und Frieden steht, fällt es schwer, sich mit dem abzufinden, was im Mittelmeer passiert. Und da wollte ich etwas gegen tun. Ich war immer sehr wassersportaffin, kann surfen und ein Boot fahren. Ich dachte: Auf dem Wasser bin ich vielleicht eine echte Hilfe.

Sie sind nicht als klassischer Weltrettungsjugendlicher aufgewachsen?

Nein, wirklich nicht. Meine Freunde hätten mir das vor fünf Jahren nicht zugetraut, aber meine Prioritäten haben sich halt verschoben.

Was war der Moment, in dem sich alles änderte?

Die Situation an Bord. Ich bin 2016 zum ersten Mal mitgefahren und kam als jemand, der pragmatisch helfen wollte, sich aber als unpolitisch verstand. Ich dachte, ich wüsste, auf was ich mich einlasse, aber es war viel dramatischer und schlimmer, als ich es mir vorstellen konnte. Wenn man die Menschen direkt vor sich sieht, dann weiß man, da hängen hundertvierzig Leben davon ab, was wir drei Helfer auf einem kleinen Boot jetzt tun. Man hört die Stimmen der Menschen, man sieht, wie sie ins Wasser fallen und versteht auf einmal, was schierer Überlebenskampf ist.

Wie oft waren Sie im Einsatz?

Zweimal. Ich war Ostern 2017 wieder an Bord, als die Iuventa zum Mayday-Fall wurde.

Wir mussten bei schwerer See einen Notruf absetzen, weil das Deck überspült wurde und die Gefahr groß war, dass bereits gerettete Menschen wieder über Bord gehen. Über vierzig Stunden war keine Hilfe für die Iuventa in Sicht.

Konnten Sie das verhindern?

Ja, aber wir waren allein und mussten neun Schlauchboote zurücklassen. Auf jedem sind einhundert bis einhundertfünfzig Menschen. Es waren vermutlich mehr als tausend Menschen insgesamt.

Alle tot?

Das wissen wir nicht. Zwei Schlauchboote hatten aber schon viel Luft verloren. Aber wir waren überfüllt und hatten alle Rettungsmittel erschöpft, die das Schiff hergab.

Wie verkraften Sie diese Erlebnisse?

Schwierig. Wir haben psychotherapeutische Betreuung und versuchen, das aufzuarbeiten, aber das sind Bilder und Erfahrungen, die uns alle ein Leben lang begleiten werden. Ich wünsche, dass wir nur einmal in eine solche Situation kommen.

Sie möchten nicht mehr zurück?

Doch, ich möchte wieder Menschen retten, aber ich möchte nie mehr Menschen zurücklassen oder Menschen ertrinken sehen. Die politische Gesamtsituation ist dramatisch schlechter geworden. Aber wir werden gebraucht und nur, weil uns bestimmte Politiker nicht haben wollen, heißt das nicht, dass wir aufgeben und die Leute ihrem Schicksal überlassen.

Meine Unterstellung lautet, dass Sie heute ein anderer sind, als vor Ihrem Einsatz?

Damit haben Sie auf jeden Fall recht. Das hat immensen Einfluss. Ich wollte pragmatisch helfen, ohne politisch zu denken. Das hat sich gewandelt. Auf See zählt nur das pragmatische Vorgehen. Aber ich habe auf See gesehen, was die Politik an Land für Auswirkungen hat.

Werden Sie bitter?

Gelegentlich, abends, alleine. Aber grundsätzlich hilft es nur, wenn man optimistisch an die Sache rangeht. Wir haben bisher vierzehntausend Menschen in Seenot geholfen. Das ist eine Kleinstadt. Wenn man das bedenkt, erscheint einem der eigene Handlungsspielraum nicht mehr so gering.

.
.