■ Schwullesbisch ist zum Begriff geworden. Er verschleiert, daß Schwule das Wort führen, Lesben schweigen: Der kleine Unterschied
Wer im Sommer 1996 eine deutsche Tageszeitung oder die Vierfarbbroschüren der EuroGames und des CSD aufschlägt, durch nachmittägliche Talkshows und Vorabendserien zappt, regenbogenbeflaggte Rathäuser goutiert oder eine der vielen CSD-Paraden zwischen Berlin und Stuttgart besucht, kann sich in der Illusion wiegen, die „Homoemanzipation“ laufe auf Hochtouren – frei nach dem Motto: sichtbar, sichtbarer, am sichtbarsten. Doch die Lage lesbischschwuler Politik ist nach fünfzehn Jahren konservativer Hegemonie so einfach nicht. Simple Strickmuster, die von einem stetem Zuwachs an Emanzipation ausgehen, greifen ebensowenig wie deren Kehrseite, die allerorten nur den Ausschluß von Lesben und Schwulen diagnostizieren.
Wer das Recht auf Ehe als zu erringendes BürgerInnenrecht proklamiert und – in blinder Verkennung der Funktionsweisen von Zwangsheterosexualität – auch noch meint, diese dadurch aushebeln zu können, verdunkelt, daß sich schwullesbische Politik damit an der Neuziehung der konservativ zementierten Grenzen zwischen „drinnen“ und „draußen“ beteiligt. Wer, wie Volker Beck, Normalisierung als das Maß von Emanzipation ausgibt, verkennt, daß lesbische und schwule Existenz gerade durch Mechanismen der Normalisierung verfemt und geächtet wurde. Wer auf West als Bündnispartner schwullesbischer Interessenvertretung setzt, ist zumindest etwas naiv.
„Politisch per se“ sei die öffentliche Zurschaustellung, kommentiert dagegen Jan Feddersen in der taz das diesjährige CSD-Spektakel und ignoriert damit, daß keine Handlung per se irgend etwas ist, weder politisch oder subversiv noch „unpolitisch, ohne Kraft“, wie Elmar Kraushaar in seiner Replik an gleicher Stelle zu insinuieren sucht. Dennoch muß gefragt werden, ob Sichtbarkeit der Identität als politische Strategie genügt.
Auffallend ist auch, wer sichtbar wird in diesem zweistimmigen Chorgesang aus sich tolerant gerierender heterosexueller Mehrheit und dankbarer homosexueller Minderheit: Es sind – trotz (oder wegen?) der neuerdings gebräuchlichen Formulierung „lesbischschwul“ – fast ausnahmslos schwule Männer, von denen zu sehen und zu reden ist – und hier unterscheiden sich oft genug auch die linken schwulen Kritiker nicht von ihren integrationistischen „Brüdern“, wenn etwa Elmar Kraushaar Stonewall als das militante Erbe von „Tunten, Transen und Schwulen“ reklamiert und damit die Lesben, die sich im Stonewall Inn zusammen mit schwulen Tunten verbarrikadiert hatten, aus der gemeinsamen Geschichte auslöscht. Es sind aber gerade die Auslöschungen ebenso wie die Versionen historischer Erinnerung, die konstruieren, wer wir sind, und uns erzählen, wo wir uns politisch positionieren und positioniert werden. Aus lesbischer Sicht muß deshalb gefragt werden, was die brüderliche Umarmung durch die Schwulen bedeutet, wer hier in wessen Namen welche Interessen durchsetzt. Ist es mehr und anderes als politische Opportunität, die schwule Politfunktionäre und Kolumnisten dazu zwingt, Lesben in ihrer Rede zu führen? Oder nutzen Schwule (wieder einmal) die Gunst der Stunde, sich auf Kosten von Lesben zu profilieren? Im Schulterschluß mit einer ignoranten gesellschaftlichen Mehrheit, der ihre Minderheiten sowieso einerlei sind, versuchen schwule Politiker auf Teufel komm raus endgültig den Eintritt in die Gesellschaft der Männer zu bewerkstelligen. Daß die Durchsetzung von Partikularinteressen immer zu Lasten anderer geht, die „draußen“ sind, kümmert die vereinten schwule Kräfte dabei herzlich wenig. Dazu paßt, daß bei der Vorbereitung des CSD in Berlin lesbische Projekte nahezu vollständig ausgeschlossen wurden – und ebenfalls Volker Becks politisch ebenso naive wie entlarvende Feststellung, „gay money“ sei es eben, das die Welt am laufen halte.
Solange Schwule nicht anerkennen, daß Unterdrückung nicht nur durch offene Verbotsakte funktioniert, sondern auch durch die Produktion eines Gebiets der Undenkbarkeit und der Unaussprechlichkeit, weshalb Lesbianismus zum Teil nicht einmal in das Denkbare, Vorstellbare vorgestoßen ist, beteiligen sie sich mit der Einschreibung von Lesben in schwule Diskurse und der aneignenden Rede von „lesbischschwuler Gemeinsamkeit“ an der Produktion der Unsichtbarkeit von Lesben. „Ausdrücklich verboten zu werden“, kommentiert die feministische Theoretikerin Judith Butler, „bedeutet, einen Schauplatz des Diskurses zu bewohnen, von dem aus so etwas wie ein umgekehrter Diskurs artikuliert werden kann; implizit verboten zu werden bedeutet, nicht einmal als Verbotsobjekt in Frage zu kommen.“ Das macht die Formulierung eines Gegendiskurses um so komplizierter. „Und obwohl“, so Butler weiter, „im gegenwärtigen Klima alle Formen von Homosexualität ausgelöscht, reduziert und (dann) als Schauplätze radikaler homophober Phantasien rekonstituiert werden, ist es wichtig, die verschiedenen Wege nachzuzeichnen, auf denen die Undenkbarkeit der Homosexualität immer wieder konstituiert wird.“ Als ständige Unwahrheit vorzukommen, ist eine Sache – etwas anderes ist es, aus dem Diskurs ausgelöscht zu werden.
Von daher werden politische Bündnisse zwischen Lesben und Schwulen, aber auch mit und zwischen anderen gesellschaftlichen Minderheiten, nur dann eine Chance haben, wenn Unterschiede nicht zugekleistert werden, ohne Differenzen als unverrückbare Grenzsteine zu fetischisieren. Statt vorschnell marktförmige, „repressive Toleranz“ (Marcuse) mit gesellschaftlicher Veränderung zu verwechseln, sollten wir Differenzen nicht verdecken, sondern untersuchen.
„Es dauerte eine Weile, bevor uns klar wurde, daß unser Ort das Haus des Andersseins selbst war und nicht die Sicherheit eines einzelnen Unterschieds“, schrieb die afroamerikanische Literatin Audre Lorde. Von dieser Vision ist lesbischschwule Politik hierzulande noch weit entfernt. Sie wird nur dann eine Zukunft haben, wenn sie ihre Politik auf der Ungereimtheit der Differenzen statt auf die Sicherheit des einzelnen Unterschieds gründet. Sabine Hark
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