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Schwestern und Vulven

Albertina Carris Film „Las hijas del fuego“ beim 1. Pornfilmfestival im Kreuzberger Kino Moviemento macht den Akt des Pornomachens zum Film: mit viel Sexpositivität, polyamourösen Orgien und Feminismus

Gemeinsamer Roadtrip nach einer Schlägerei Foto: Pornfilmfestival

Von Julia Wasenmüller

Ushuaia, die südlichste Spitze Argentiniens, kalt-mattes Licht und schneebedeckte Berge. Niemand spricht. Zwei glänzende schwarze Stiefel, Dr. Martens, auf gefrorenem Wasser. Eine Frau in einer Grotte. Wassertropfen lösen sich von der Decke und erzeugen nebst ihrem Stöhnen das einzige Geräusch. Sie ist nackt und masturbiert. Die Kamera fängt die Bewegung des lilafarbenen Dildos ein, fährt über ihren Körper, bis zum Kopf. Sie verzieht das Gesicht, beißt sich auf die Lippen, reißt den Mund auf.

Ein Schiff legt an. Zwei Frauen fallen sich in die Arme, sie sind ein Paar. Eine davon ist die aus der Grotte. Sie haben Sex.

„Hast du dir einen neuen Film überlegt?“ – „Ja, Porno.“

Es fallen nur wenige Worte im gesamten Plot. Und wenn, dann handelt es sich meist um Gedanken und Reflexionen aus dem Off. „Was ist das, Porno?“

Fast zwei Stunden begleitet man die Frauen auf der Suche nach einer Antwort. Das Drehbuch beschreibt, wie das Drehbuch geschrieben wird, und dennoch ist es kein Dokumentarfilm. Der Akt des Pornomachens wird zum Film. Gedanken, Zweifel, Fragen, und während noch darüber sinniert wird, was ein Porno sei, ist man längst in einem drin.

Albertina Carris neuer Film ,„Las hijas del fuego“, oszilliert zwischen persönlicher Intro­spektion, politischem Essay, feministischem Porno und Roadmovie. Er wurde am Dienstag zur Eröffnung des 13. Pornfilmfestivals im Kreuzberger Kino Moviemento erstmals in Deutschland gezeigt. In Argentinien wurde Carri bereits mit dem Preis des Bafici (Buenos Aires Festival Internacional de Cine Independiente) für den besten Film im nationalen Vergleich ausgezeichnet. Ihre Film-Crew: nur Frauen.

Der Titel, der in der deutschen Übersetzung „Die feurigen Schwestern“ klingt wie ein Kitschporno aus den Siebzigern, wurde bereits 1854 von dem französischen Dichter Gérard de Nerval verwendet. Seine „Filles du feu“ waren acht Frauen, die sich in einer jeweils eigenen Kurzgeschichte auf die Suche nach Liebe und Wahnsinn machten. Carris feurige Schwestern begeben sich auf die Suche nach sexueller Befreiung und weiblicher Lust jenseits patriarchaler Kategorien.

„Das Problem war nie die Repräsentation der Körper, das Problem ist, wie diese Körper vor der Kamera zu Land und Landschaft werden.“

In einer Kneipe werden die beiden sich küssenden Frauen von einem plumpen Typen als „Scheißlesben“ beschimpft. Eine dritte Frau mischt sich ein, und gemeinsam fangen sie eine knallharte Schlägerei an, sie verprügeln den Typen. In der folgenden Nacht schlafen sie zu dritt. Danach beginnt der gemeinsame Roadtrip.

„Wir sind auf einer wilden Forschungsreise. Wir suchen gleichzeitig nach Körpern und Geschichten.“

Zunächst scheint es eine Liebesbeziehung zwischen den dreien zu sein, doch bald kommt eine vierte Frau hinzu, bald eine fünfte, bald gibt es eine Szene, in der sieben Frauen in einer Reihe sitzen; lachend und ausgelassen pissen sie. Dicke, dünne, schwarze und weiße Frauen. Das Bild bleibt in Erinnerung, die Charaktere und ihre Geschichten werden nicht weiter beleuchtet, wie sie dazugestoßen sind, bleibt unklar.

Das Festival

Beim Pornfilmfestival Berlin geht es um Sex, Politik und Feminismus. Das alternative und unabhängige Filmfestival findet bereits zum 13. Mal im Kreuzberger Kino Moviemento statt. Nach dem Festival wird „Las hijas del fuego“ dort vom 1. bis zum 7. November noch mal gezeigt.

Selbst ihre Namen werden nur nebenbei erwähnt. Ihre Körper und ihre Lust werden zu den eigentlichen Protagonistinnen. Carris Kamera geht nah ran. Frauen, deren Augen vor Lust weit aufgerissen sind, Frauen, die Sexspielzeug ausprobieren und für sich entdecken, Vulven, aus denen Flüssigkeit tropft.

Die abwechslungsreichen Kameraeinstellungen und die Liebe zum visuellen Detail, das Spiel mit Licht und Farben zeigen die Reaktionen des gesamten Körpers, nicht nur der Genitalien. Carri erforscht das Thema Sexualität in allen Facetten, in aller notwendigen Diversität. Damit bricht sie die stereotypen Bilder von Mainstream-Pornos, in denen Frauen stets auf eine passive Rolle festgeschrieben werden, in denen es um Penetration geht und nicht viel mehr. Statt patriarchaler Lebens- und Liebesmuster sehen wir polyamouröse Orgien und Sexpositivität.

„Was erzähle ich, wenn ich Porno erzähle? Ein Teil der Lust ist unmöglich darzustellen, es gibt keinen Weg, nur annähernd an die Wahrheit ranzukommen. Ohne Täuschung und mit Lust, Sinnlichkeit, Bereitschaft, Zeit. Ist das Porno?“

Auch wenn die Frauen auf den ersten Blick zunächst durch rein körperliche Beziehungen verbunden sind, ist da noch mehr. Im Spanischen gibt es ein Wort: sororidad, die Bedeutung liegt irgendwo zwischen „Solidarität“ und „Schwesterlichkeit“. Es geht darum, als Frauen zusammenzustehen gegen patriarchale Gewalt und Unterdrückung. Ohne dass sie darüber sprechen, wird deutlich, wie einfühlsam die Protagonistinnen mit den Grenzen und Bedürfnissen der anderen umgehen, wie sie sich selbst in den anderen entdecken. Man hat nie das Gefühl, den Frauen würde irgendetwas fehlen. Männer zum Beispiel. Sie spielen in „Las hijas del fuego“ keine Rolle, und wenn, dann nur als Störfaktoren.

Zum Schluss eine einzige Kameraeinstellung über mehrere Minuten. Wieder ohne Worte. Eine Person mit gespreizten ­Beinen, ihre Vulva im Zentrum des Blickfelds. Sie masturbiert. Ganz für sich. Ist das vielleicht Porno?

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