Schwerins Linke fordert „Männerhäuser“: Auch Frauen prügeln
In Mecklenburg-Vorpommern fordert die Linke gesonderte Beratung für männliche Opfer. Für den Besuch bestehender Einrichtungen sei die Scham zu groß.
SCHWERIN taz | Wenn von häuslicher Gewalt die Rede ist, sind in der Vorstellung der meisten Menschen die Geschlechterrollen klar verteilt: Der Mann ist der Täter, die Frau das Opfer. Entgegen diesem Klischee sorgte in Mecklenburg-Vorpommern vorige Woche ein Bericht des NDR für Diskussionen, wonach die Opfer häuslicher Gewalt in dem Bundesland zu gleichen Teilen auf die Geschlechter verteilt seien. Der Ruf nach einer Beratungsstelle für männliche Opfer wurde laut. Doch das Sozialministerium konterte mit aktuellen Zahlen, wonach 84 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt Frauen seien und nur 16 Prozent Männer.
Für die Linksfraktion im Schweriner Landtag jedoch ändern die niedrigeren Fallzahlen nichts an dem Problem: „Wenn nahezu ein Fünftel der Opfer von häuslicher Gewalt männlich ist, muss es auch für diese Opfergruppe ein niedrigschwelliges Hilfsangebot geben“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Peter Ritter.
Die Landespolizei zählte im vergangenen Jahr 1.050 Einsätze wegen häuslicher Gewalt. Die Dunkelziffer liegt noch deutlich höher. „Doch die Landesregierung verharrt im Nichtstun“, sagt Ritter.
Das zuständige Sozialministerium argumentiert hingegen, dass es bereits ausreichende Hilfs- und Beratungsangebote gebe. In ganz Mecklenburg-Vorpommern sind es 32. „Die sind sowohl auf Männer als auch auf Frauen ausgerichtet“, sagt Ministeriumssprecher Christian Moeller. Aus den Einrichtungen gebe es zudem bisher keine Forderungen nach Kapazitätsvergrößerungen. „Wir können Männer, die Opfer häuslicher Gewalt sind, nur immer wieder auffordern, das bestehende Angebot zu nutzen“, sagt Moeller.
In Schleswig-Holstein gab es bis 2014 eine Beratungsstelle für Männer. Diese soll nun wieder eingerichtet werden. Ein Ausschreibungsverfahren durch das Sozialministerium läuft.
In Niedersachsen liegt der Fokus ebenfalls auf Hilfe- und Beratungsangebote für Frauen. In Hannover gibt es allerdings auch ein Männerbüro, an das sich Männer wenden können.
Der Hamburgische Senat will derzeit immerhin die Internetseite der Opferhilfe ausbauen und dort Infomaterial speziell für Männer bereitstellen.
In Bremen gibt es keine gesonderten Angebote für Männer.
Der Linken aber reicht das nicht: „Die Hemmschwelle für die Betroffenen, sich Hilfe zu suchen, ist zu hoch“, kritisiert Ritter. Denn die vorhandenen Einrichtungen seien in erster Linie auf Frauen ausgerichtet. Spezielle Beratung und Hilfe für Männer könne dort nicht geleistet werden.
Unterstützung erhält Ritter von der Landesarbeitsgemeinschaft Jungen-Männer-Väter (LAG). Ihr Sprecher Bernd Schröder fordert die Landesregierung auf, zusätzliche Mittel bereitzustellen: „Wir würden gerne eine Beratungsstelle einrichten, allerdings ist das ohne Zuschüsse des Landes nicht möglich.“
Auch er hält die Hemmschwelle für männliche Opfer häuslicher Gewalt in den bestehenden Einrichtungen für zu hoch. Es werde zudem nicht beworben, dass sich Männer an diese Hilfsstellen wenden könnten, sagt Schröder. „Wer eine andere Art von Männlichkeit, also dass Männer auch weich sein dürfen, erreichen will, muss da mehr unternehmen“, sagt er in Richtung Landesregierung.
Der Missstand zeige sich auch darin, dass es für Männer zum Thema häusliche Gewalt zwar drei Beratungsstellen im Land gebe, aber nur für diejenigen, die möglicherweise Täter seien oder fürchteten, es zu werden.
Die regierenden Fraktionen von SPD und CDU wollen eher keine neuen Angebote für Männer schaffen: „Wir müssen schließlich auch schauen, was finanziell machbar ist“, sagt SPD-Fraktionssprecher Alexander Kujat. In den Fachausschüssen solle die Linksfraktion Vorschläge machen, dann könne man darüber beraten. „Aber es wäre sinnvoller, bestehende Strukturen zu stärken, statt neue aufzubauen“, sagt Kujat.
Bundesweit würden jedoch immer mehr Männer eigens für sie konzipierte Hilfsangebote und Beratungen in Anspruch nehmen, sagt LAG-Sprecher Schröder, der auch als Sozialarbeiter tätig war. Nur so könnten die Männer – und Frauen – aus ihrer Opferrolle herauskommen, argumentiert Schröder. „Aber um männliche Verhaltensmuster aufzubrechen, in denen sie die eigenen Gefühle nicht zeigen dürfen, brauchen wir mehr Orte, an denen sie nicht als Weicheier gelten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?