Schwere Kritik an Sarkozys Krisenpolitik: Streiken gegen Sarko
Mehrere Millionen Menschen protestierten am Donnerstag überall in Frankreich gegen Sarkozys Politik. Sie legten den öffentlichen Dienst und weite Teile der Privatwirtschaft lahm.
Dieser Frühlingsbeginn kann nicht nach dem Geschmack von Nicolas Sarkozy sein: Bei strahlendem Sonnenschein waren am Donnerstag mehrere Millionen Menschen überall im Land auf der Straße. Sie verlangten Lohnerhöhungen, den Stopp der Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst und das Verbot von Entlassungen in Unternehmen, die Gewinne machen.
Die Demonstranten kritisieren auch die Milliarden, die in den vergangenen Wochen aus dem Staatshaushalt in große Unternehmen gesteckt wurden, und die Steuererleichterungen für Spitzenverdiener, die die rechte Mehrheit im französischen Parlament gerade durchgesetzt hat. Es ist ein Erfolg für die Gewerkschaften, die geschlossen zu diesem zweiten nationalen Streiktag aufgerufen haben. Schon am Donnerstagvormittag sagt Maryse Dumas, eine Sprecherin der CGT, die Beteiligung an Streik und Demonstrationen sei "25 Prozent stärker" als bei dem vorausgegangenen Aktionstag. Am 29. Januar waren nach Gewerkschaftsangaben 2,5 Millionen Menschen unterwegs. Die Polizei hatte damals die Teilnehmerzahl auf 1,2 Millionen geschätzt.
Seither sind mehrere "Sozialpläne" bekannt geworden, darunter Entlassungspläne bei Konzernen wie Total, das im vergangenen Jahr Rekordgewinne verzeichnet hat, und zuletzt ein Werkschließungsplan bei dem Autozulieferanten Faurecia, obwohl der französische Staat der Autobranche mit Billigkrediten von mehr als 6,5 Milliarden Euro unter die Arme greifen will.
"Sarkozy, siehst du immer noch nichts?", skandieren Demonstranten. Der Staatspräsident hat einen "Mindestdienst" eingeführt, der die Beschäftigten von Schulen, Verkehrsbetrieben und Krankenhäusern zwingt, auch an Streiktagen den Service teilweise aufrechtzuerhalten. "Künftig wird niemand mehr merken, wenn in Frankreich gestreikt wird", hatte er sich in seinem ersten Amtsjahr gebrüstet. Doch an diesem Donnerstag kann niemand übersehen, dass das Land bestreikt wird. Der Verkehr ist nirgends komplett zusammengebrochen, aber überall ist er stark eingeschränkt. Zwar nehmen die Schulen und Kindergärten die Kinder an und lassen sie von dienstverpflichteten Beamten betreuen, aber Unterricht gibt es nicht. Und im öffentlichen Radio, bei dem Sarkozy zahlreiche Stellen streichen will, ist der Streik beinahe komplett. Auch aus der Privatwirtschaft beteiligen sich diesmal noch mehr Menschen an dem Streik und an den Demonstrationen.
In Paris, wo sich schon vor dem Abmarsch der Demonstration mehr als 350.000 Menschen versammelt haben, herrscht Feststimmung. In der ersten Reihe des Zuges gehen die Chefs der vielfach zerstrittenen großen Gewerkschaften untergehakt. Weiter hinten in dem Pariser Zug und auch in den Provinzstädten ziehen die linken Parteien mit. Im Vorfeld des Streiktags hat es heftigen Schlagabtausch zwischen der Sozialistischen Partei und der neuen trotzkistischen NPA gegeben. Olivier Besancenot, Chef der NPA und ein aufsteigender Stern am französischen Polithimmel, hatte von der Notwendigkeit eines unbefristeten Generalstreiks gesprochen. Die PS und manche Gewerkschaften warfen ihm Populismus vor.
Im Pariser Demonstrationszug gibt sich der vielfach als "reformistisch" gescholtene Chef der zweitgrößten französischen Gewerkschaft, François Chérèque, kämpferisch: "Das totale Schweigen von Regierung und Unternehmern ist inakzeptabel." Sein Kollege von der CGT, Bernard Thibault, fügt siegesgewiss hinzu: "Der Regierung wird gar nichts anderes übrig bleiben, als mit uns zu verhandeln."
Sarkozy hatte nach dem 29. Januar einen "Sozialgipfel" mit den Gewerkschaften organisiert. Doch sie fanden seine Zugeständnisse unzureichend. Der zweite Streiktag zeigt, dass die Mehrheit der Franzosen das genauso sieht.
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