: Schwer vermittelbar
TALKSHOW Charlotte Roche hört nach nur vier Monaten als Moderatorin von „3 nach 9“ auf. Radio Bremen war wohl zu ungeduldig mit ihr – und die „Skandalnudel“ zu wenig sie selbst
VON DAVID DENK
In „Wahrheit oder Pflicht“ ist Charlotte Roche ganz bei sich – und das nicht etwa, weil sie in der dem Partyspiel nachempfundenen Sendung mit Roger Willemsen pinkeln geht. Wer sie nach ihrem Bestseller „Feuchtgebiete“ auf Körpersäfte reduziert, tut ihr sowieso unrecht. Roches große Qualität, die auch „Wahrheit oder Pflicht“ auszeichnet, besteht darin, so erfrischend unbefangen und empathisch mit ihren Gästen zu interagieren, wie man es im Fernsehen nur selten gesehen hat – zuletzt leider auch von ihr selbst. Am Montag wurde bekannt, dass ihr fünfter Auftritt als Moderatorin des alteingesessenen Radio-Bremen-Stuhlkreises „3 nach 9“ am Freitag schon ihr letzter gewesen ist. Als Grund gibt der Sender – wenig überraschend – „unterschiedliche Auffassungen über die Sendung“ an. Über Details schweigen sich beide Seiten aus. Es ist anzunehmen, dass Roche sich auf die Unterlippe beißen muss, zu sagen gäbe es zu ihrem schnellen Abschied sicherlich eine Menge.
„Wahrheit oder Pflicht“ hat es übrigens nie ins Fernsehen geschafft, zu sehen ist die Pilotfolge nur auf YouTube. Für solch ein gewagtes, belebend pubertäres Format ist offenbar kein Platz im hiesigen TV-Programm – und nach Roches Scheitern bei „3 nach 9“ muss man sich schon fragen, ob das auch für sie selbst gilt.
Begonnen hat die Karriere der 31-Jährigen, wie bei vielen Kollegen ihrer Generation, beim Musikfernsehen. Mit dem Viva/Viva-2-Indiemagazin „Fast Forward“ begründete sie von 1998 bis 2004 ihren Ruf als „Queen of German Pop Television“ (Harald Schmidt) – von dem sie bis heute zehrt. Während es Musikfernsehkolleginnen wie Heike Makatsch und Jessica Schwarz durch einen Wechsel ins Schauspielfach gelungen ist, ihre Karriere voranzutrieben, eine auch in der Erwachsenenwelt tragende Perspektive für sich zu entwickeln, hat Roche bis heute ihre Rolle nicht gefunden. Sie will raus aus der Nische, kommt aber im Mainstream nicht an – im doppelten Wortsinn. Das Problem kennen auch viele andere frühere MTV- und Viva-Moderatoren (Mola Adebisi, Niels Ruf, Sarah Kuttner). Nicht jede Karriere hat eben eine Fortsetzung verdient – allerdings wäre es um niemanden so schade wie um Charlotte Roche. Ihr Talent ist unbestritten – übrigens auch von der „3 nach 9“-Redaktion. „Wir wollen eine andere Sichtweise, die für alle Altersgruppen spannend ist“, sagte RB-Programmdirektor Dirk Hansen, als Roche im vergangenen Jahr als Komoderatorin neben Giovanni di Lorenzo und Nachfolgerin von Amelie Fried vorgestellt wurde, mit der sie nur eins gemeinsam hat: dass sie auch Bücher schreibt.
Die Entscheidung für Roche war genau bis Montag mutig – doch dann hat sich offenbart, dass der Wille zur Erneuerung nur ein Lippenbekenntnis war – wie so häufig im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Was vielen dort seltsamerweise immer noch nicht klar ist: Wer kurzfristige Erfolge erwartet, verhindert damit langfristige Entwicklungen. Und dass das gesetzte „3 nach 9“-Stammpublikum nicht auf Anhieb begeistert ist, wenn neben dem distinguierten Italiener plötzlich eine junge Frau sitzt, die es aus Illustrierten nur als „Skandalnudel“ kennt, ist ja wohl wenig überraschend. Charlotte Roche spürte diese Vorbehalte und wirkte deswegen bei „3 nach 9“ verkrampft, angestrengt, überangepasst. Dass sie mit gelöster Handbremse auf diesem Sendeplatz, bei diesem Publikum kaum besser angekommen wäre, ist die Tragik dieser Personalie. Charlotte Roche hat verloren. Sie konnte gar nicht gewinnen. Es ist ein Jammer.