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Archiv-Artikel

Schwer verdauliche EU-Verfassung

betr.: „Chichi-Show in Frankreich – das Richtige tun aus falschen Gründen“, Kommentar von Daniela Weingärtner, taz vom 16. 4. 05

Eine Verfassung sollte für alle Bürger leicht verständlich und möglichst kurz sein und eben nicht „schwer verdaulich“. Wieso muss diese EU-Verfassung eigentlich einen umfangreichen Teil 3 enthalten, der detailliert eine neoliberale Wirtschaftsordnung festlegt? Vielleicht bin ich ja auch einfach nur naiv und glaube noch immer an Transparenz und Demokratie. Könnte es so sein, dass die Verfassung gar nicht, zumindest in Deutschland, mit den Bürgern diskutiert werden soll? Wie bei anderen Maßnahmen der EU, siehe zum Beispiel Dienstleistungs-Richtlinie (Bolkestein-Hammer), soll die extreme neoliberale Ausrichtung auf leisen Schritten eingeführt werden. Wir als EU-Bürger werden dann später mit den sogenannten Tatsachen konfrontiert, an die wir uns anpassen müssen, weil die von Politikern und Kommissaren geschaffenen Realitäten angeblich nicht mehr zu ändern sind. Wieso ist diese „tolle“ Verfassung, die ja schließlich eine Grundsatzentscheidung über die weitere politische Ausrichtung der EU darstellt, nicht an alle Bürger der EU verteilt worden? Vielleicht sprechen der Umfang und die Details einer neoliberalen Wirtschaftsordnung, die durch den Teil 3 Verfassungsrang bekommen, eine zu deutliche Sprache. Wieso dürfen wir in Deutschland eigentlich nicht über diese Verfassung abstimmen?

Zum Schluss noch ein historischer Vergleich: In der früheren Sowjetunion gab es die Dystopie, dass am kommunistischen Ende alle Menschen gleich sein werden. Im augenblicklichen Dogma gibt es die gefährliche Dystopie, dass am neoliberalen Anfang alle Menschen die gleichen Chancen haben. Wer es dann im globalen Wettbewerb nicht schafft, hat entweder Pech gehabt oder seine Chancen schlecht genutzt! Weder die Bürger der EU noch die Menschen dieser Erde werden sich mit dieser neuen neoliberalen Heilslehre auf ewig abspeisen lassen. Deshalb fordere ich ein NEIN zu dieser Verfassung und ein JA für eine EU-Verfassung, die sich auf Gerechtigkeit, Solidarität, Schutz der Natur und die zivile Lösung von inner- und zwischenstaatlichen Konflikten festlegt.

REINHARD HUSS, Heidelberg