■ Schweizer wollen keine Blauhelme: Anders als alle andern
Mit Morgensternen und Hellebarden, mit Speeren und Spießen haben die alten Eidgenossen gar manche Schlacht geschlagen. Erst als sie 1515 bei Marignano von den Soldaten Franz' des Ersten aus Frankreich eins über die Rübe kriegten, besannen sie sich eines Besseren. Keine Einmischung in fremde Händel, hieß fortan die Parole. Zwar gehörten die Schweizer jahrhundertelang weiterhin zu den am meisten gefürchteten Söldnern. Aber als Staat hielt sich die Eidgenossenschaft heraus, und 1815 sicherten ihr die Großmächte auf dem Wiener Kongreß die Anerkennung der „immerwährenden Neutralität“ zu.
Just diese Neutralität wähnte offenbar eine Mehrheit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger in Gefahr und votierte gestern gegen die Einrichtung einer 600 Mann starken Blauhelmtruppe – ausschließlich für friedenserhaltende Einsätze unter UN-Kommando, in die die verfeindeten Parteien und explizit auch die eigene Regierung einwilligen. Alle Vorsichtsklauseln nützten nichts. Die populistischen und rechtskonservativen Kreise, die ansonsten gerne das Bild von den wackeren alten Eidgenossen pflegen und bei Waffenexporten und Anschaffung von Kampfflugzeugen überhaupt keine Hemmschwellen kennen, haben mit Erfolg an die patriotischen Instinkte der Schweizer appelliert und ihre Ängste vor dem Zusammenbruch ihres längst brüchigen Weltbildes mobilisiert. Selbst weite Teile des antimilitaristischen Lagers, dem es vor zwei Jahren gelang, ein Drittel der Eidgenossen für die Abschaffung der Armee zu gewinnen, sind über ihren Schatten gesprungen und haben sich zu einem friedenspolitischen Ja für die Blauhelme durchgerungen.
Doch in ihrer Mehrheit sind sich die Schweizer treu geblieben. 1986 lehnten sie den Beitritt zur UNO ab, 1992 den Anschluß an den Europäischen Wirtschaftsraum. Sonderfall Schweiz eben. Selbst historische Fakten vermögen offenbar nicht, das Ideologem der „immerwährenden Neutralität“ ernsthaft in Frage zu stellen. Irgendwann wird es den Eidgenossen dämmern, daß sie Neutralität mit Isolation verwechselt haben. Möglicherweise sind dann alle Züge, die in der Schweiz ja notorisch pünktlich sind, abgefahren. Thomas Schmid
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