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Schwedens Großer Bruder

Stockholm (taz) — In Schweden gibt es kein Telefongeheimnis bei über Satellit und Richtfunk geführten Gesprächen. Stichwortgesteuerte Dateien des schwedischen Militärs können alle Gespräche aufzeichnen.

Auf der Halbinsel Onsala an der schwedischen Westküste bei Göteborg steht das, was es nach offiziellen Auskünften nicht gibt. Drei große Satellitenantennen, mit denen die „Radioanstalt“ des Verteidigungsministeriums (FRA) den gesamten über Satellit geführten zivilen und militärischen Fernsprechverkehr abhören kann.

„Göteborg Radio“ steht auf dem Wegweiser. Und tatsächlich wurde die FRA-Station vor zehn Jahren unter dem Deckmantel der gleich nebenan gelegenen zivilen Küstenradiostation für die Seeschiffahrt aufgebaut. Diese, vom „Televerket“, dem schwedischen „Telekom“, betrieben, hat aber mit der FRA-Anlage nichts zu tun. Das Staatsunternehmen Televerket sendet. Die FRA hört im Auftrag des Staates ab.

Denn das Telefongeheimnis endet spätestens beim nächsten Sendemast. Alle Auslandsgespräche, die nicht über Kabel, sondern über Richtfunk und Satellit laufen, werden systematisch von den Technikern und der Technik des Verteidigungsradiodienstes mitgehört und bei Bedarf aufgezeichnet, ausgedruckt, landen bei Polizei, Geheimdienst, Steuerfahndung auf dem Schreibtisch. Diese Praxis, von der Zeitfunkredaktion des schwedischen Rundfunks in der letzten Woche enthüllt, geschah bis jetzt im Geheimen. Die Dementis, die Außen- und Verteidigungsministerium sowie die FRA selbst daraufhin ausstreuten, waren von der kurzen und vielsagenden Art: „Keine Stellungnahme“, oder — so der FRA-Chef am Telefon — „Danke, tschüß“.

Eine hochmoderne Datentechnik hört dauernd in alles hinein, was durch die Luft übertragen wird. Sie dekodiert, wenn nötig, die Gespräche, wandelt gewöhnliche Stimmen in dialogisierte Computersprache um, ein Terminal kann Tausende von Gesprächen gleichzeitig überwachen. Bestimmte Telefonnummern können eingegeben werden, deren ein- und ausgehende Gespräche und Faxe ständig herausgefiltert und gespeichert werden. Es gibt aber auch eine Stichwortautomatik. Spezielle Schlüsselworte, eingespeichert in allen gängigen Sprachen bis hin zu Dialekt- und Aussprache-Abwandlungen, lassen, bei einem Telefongespräch erwähnt, das gesamte Gespräch aufzeichnen.

Die Quelle des schwedischen Rundfunks, ein Bediensteter bei dem fraglichen FRA-Spezialdienst, kann mit einem konkreten Beispiel aufwarten: Vor einigen Monaten wird ein Gespräch eines schwedischen Geschäftsmanns aus Japan mitgehört. Die Aufzeichnungsautomatik läuft an, weil in seinem Gespräch eines der Schlüsselworte fällt, das die Technik in Gang setzt. Es war die Rede von einem Orden, den die japanische Regierung ihm verleihen wollte. Die FRA gab den Gesprächsausdruck an das Außenministerium weiter, welches sich für die Sache mit dem Orden interessierte und über den Geheimdienst eine umfassende geheimpolizeiliche Recherche einleitete. Im gesamten Privatleben und den geschäftlichen Kontakten des Betreffenden wurde herumgeschnüffelt, obwohl nicht einmal so etwas wie ein „Anfangsverdacht“ für eine Straftat bestand. Es kam auch absolut nichts bei der Schnüffelei heraus, was für die Polizei von Interesse gewesen wäre.

Das, was die FRA im Regierungsauftrag macht — sie wurde vor fünf Jahren hierfür extra mit supermodernen US-Großcomputern ausgestattet—, ist, zumindest was das Abhören selbst angeht, zu allem Übel offensichtlich jedenfalls nicht illegal. Telefongespräche, durch die Luft übertragen, seien Allgemeingut, nicht wie über ein Kabelnetz übertragene Gespräche gegen Mithören gesetzlich geschützt. So die Einschätzung des Vorsitzenden, des für die Überwachung der Geheimdienste zuständigen Parlamentsausschusses. Die Rechtslage ändern will nach den aktuellen Enthüllungen aber eine Parlamentariergruppe innerhalb der Sozialdemokratischen Partei. Wollen Polizei oder Staatsanwaltschaft ein über Kabel übertragenes Gespräch abhören, benötigen sie hierzu die richterliche Genehmigung. Einfacher könnten sie aber jetzt an ein Privatgespräch kommen, wenn sie die großen Ohren der FRA einschalten. Fazit des Rundfunks: „Die Perspektive einer auf datengesteuerte Personenüberwachung gestützten Gesellschaft — sie ist da.“ Reinhard Wolff

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