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Schwebend am Boden

■ Ilona Ruegg in Münster: virtuose Malerei ohne Pathos

Ganz gleich, ob man sich für Malerei nicht interessiert oder eben doch, es ist immer schwer zu begreifen, warum einer oder eine malt. Zumal der Anteil von „Welt“, der mit einem Pinsel auf eine Leinwand gebracht werden kann, immer kleiner zu werden scheint. Kein König mehr, dem man unter dem Vorwand der Huldigung seiner Unsterblichkeit die Schlinge des Vergessenwerdens um den Hals legen könnte; kein Zeitungsbild mehr, dessen Banalität sich dramatisch offenbarte durch Übertragung seiner Rasterpunkte in die große Fläche. Was bleibt, sind persönliche Obsessionen, die in langen, oft schmerzhaften Jahren weitgehender Isolation mit dem malerischen Geschick bereits verstorbener Vorbilder versöhnt werden sollen („Ich als Transvestit im Licht Rembrandts“).

Einer Obsession aufzusitzen verdächtigt man auf den ersten Blick auch Ilona Ruegg (sprich: Rü-egg), wenn man sich von ihren Bilder im Westfälischen Kunstverein (Münster) umstellt sieht: Bälle und Kugeln als Opfer ihrer Leidenschaft. Aber schon beim Herantreten an das einzelne Bild registriert man erleichtert die Täuschung. Ilona Ruegg nutzt die intime Vorstellung, die jeder von einem Ball — ob Tennis- oder Rugbyball — hat, um den Betrachter in einen Dialog über diesen Körper zu verwickeln, der selbst bei gänzlicher Ruhestellung kaum Bodenberührung hat. Es geht also um sämtliche Koordinaten des Raumes: Boden, Wand und Decke; Perspektive, Licht und Schwerkraft.

Mit ihren Bällen und Kugeln probiert Ilona Ruegg aus (oder führt vor), wie sehr man die Vorstellung an ein greifbares Objekt binden kann, ohne über seinen Ort verbindlich Auskunft zu geben. Die Malerin treibt uns an die Grenze der Einbildungskraft, wenn sie ihre Kugeln auf einen geprägten „Waffelstoff“ malt oder Bälle und Fläche nivellierend unter diffusen Mustern verschwimmen läßt. Dennoch würden wir zum Beispiel nicht einen Moment zweifeln, daß die Bälle und Kugeln Rückseiten haben. So stark ist die Annahme vom vollständigen Körper, der die Kugel zu sein hat.

Extrempunkt dieser Versuche ist „S.M.44“, ein Triptychon. Es gehört zu einer Serie von Bildern, das eine eigenartig tief gefurchte Kugel zeigt. Die Malerin sagt, es seien Kugeln aus China, die gut in die Handfläche paßten und rituellen Handlungen dienten. Das Triptychon zeigt zwei dieser Kugeln und ihre Schatten, wiederum liegend oder schwebend; allerdings nun in einem Raum, dessen Tiefe angedeutet ist. Die Kugeln und ihre Schatten sind jeweils, leicht asymmetrisch, von den Schnittstellen zwischen den Leinwänden zerteilt. Die Teilung der Kugelform am Bildrand hat einen kunstgeschichtlichen Vorläufer, wie Friedrich Meschede, der Ruegg nach Münster geholt hat, im Katalog nachweist: „Wenn man die Flügel des Altars von Hieronymus Bosch im Prado, dem ,Garten der Lüste‘, schließt, erscheint die gläserne Erdkugel in zwei Hälften.“

So ein Vergleich offenbart aber auch, wie schwer eine solches frisches Werk mit den Paradigmen der katalogisierten Malerei zu beschreiben ist. Sicher arbeitet Ilona Ruegg seriell, gewiß betreibt sie ihre Kugelakrobatik scharf am Rande der Probleme nichtgegenständlicher Malerei. Ihr Platz in einem der vielen Zweige des großen Malerstammbaums ist deshalb durchaus nicht zu bestimmen. Vielmehr wäre die Frage, an wessen Ast sie eigentlich sägt. Dabei ist augenfällig, daß sie bei brillanter Handhabung glühender Farben nichts vom selbstgefälligen Pathos der Pop-Art mitschleppt; ferner, daß sie mit ihren Kugeln und Bällen ein ausgeklammertes Problem der Figurenmalerei der achtziger Jahre aufgreift: Um die Frage des illusionären Raums nicht angehen zu müssen, hatten viele Maler — am augenfälligsten Barfuß und Wachweger — ihren Figuren mit einem wilden Schlenker die Füße genommen. Ruegg arbeitet nun wieder an diesem Bodenbezug des Objekts.

Auf jeden Fall ist damit bewiesen, daß man von den aufgeblasenen Mätzchen der Malerei der späten Achtziger zu einer tiefen Malerei zurückkehren kann, ohne sich zwecks Heiligung der Mittel ans Erhabene zu klammern. Ilona Ruegg, eine Schweizerin Anfang vierzig, ist eine Virtuosin, und der virtuose Diskurs hat immer etwas Partisanenhaftes (man denke an Thomas Bernhard, Andr Thomkins oder Nina Hagen): Er entfaltet sich, ohne repräsentative Positionen zu besetzen. Seine Wirksamkeit besteht in der Beharrlichkeit der Attacken aus dem Hinterhalt. Ulf Erdmann Ziegler

Ilona Ruegg, Die Ränder der Gegenwart, Westfälischer Kunstverein Münster, bis zum 28. Oktober 1990, täglich außer montags, bis 18 Uhr. Im Kunstmuseum/ Kunstverein St. Gallen vom 26. Januar bis zum 24. März 1991

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