Schwarzers Memoiren: Alice zwischen den Stühlen
Du? Alice Schwarzer hat ihre Autobiografie geschrieben, in der die Feministin kaum wiederzuerkennen ist. Eine junge Frau, von der Charlotte Roche noch was lernen könnte.
Sie trägt mit Vorliebe Miniröcke. Sie liebt Mode, hat kurze Kleider von Marimekko und Kostüme von Yves Saint Laurent. Sie schminkt sich. Sie schwärmt für James Dean. Sie liebt das Essen, zugleich aber findet sie sich zu dick und würde gern ein paar Kilos abnehmen. Unkonventionell ist ihre Vorliebe für die Halbwelt. Sie trifft sich mit Prostituierten in einer Kneipe namens "Fick" im Hamburger Hafen.
Wenn das keine Frau ist, mit der sich neue deutsche Mädchen und Postpostpostfeministinnen identifizieren können. Eine Frau, die der sexaffinen Charlotte Roche einiges erzählen könnte. Man glaubts kaum: Das ist Alice Schwarzer - als junge Frau. Mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein, einem kosmopolitischen Leben zwischen Frankreich und Deutschland, furchtlos Kampagnen anzettelnd, immer mit großer Klappe vorneweg.
Diese Alice Schwarzer lernen wir in ihrer Autobiografie "Lebenslauf", die Freitag erscheint, kennen. Sie behandelt auf gut 400 Seiten die erste Hälfte ihres Lebens, ein zweiter Band wird wohl noch folgen. In dem ersten aber erkennt man Alice Schwarzer in ihrer heutigen öffentlichen Erscheinung kaum wieder.
Das gelingt vor allem, weil der Text mit der Gründung der Emma endet und deshalb Schwarzers undogmatische Anfänge bebildert. Ihre außergewöhnliche Kindheit etwa: Aufgezogen wird sie vom Großvater, während Großmutter und Mutter "null mütterlichen Ehrgeiz" hatten. Alice übernimmt früh Verantwortung. Und entwickelt dabei ihre sympathisch große Klappe.
Keine beziehungsbelastende Karriere
Man darf annehmen, dass Alice Schwarzer auch von sich selbst nicht selten überrascht war bei ihrer Tour in die Vergangenheit: Freimütig gibt sie zu, dass sie von ihrem Verhalten ein ganz anderes - souveräneres - Bild hatte, als es jetzt aus Briefen und Tagebüchern hervorgeht. Ihrem Freund schreibt sie, damals noch hetero, die ziemlich unfeministischen, aber menschlichen Sätze: "Ich möchte keine Karriere machen, die unsere Beziehung belastet."
Alice zwischen den Stühlen. Als der "Kleine Unterschied" erscheint, beginnt eine Hexenjagd auf sie - von Männern und Frauen. "Hässlich wie die Nacht", "Sex einer Straßenlaterne", "Männerhasserin". Sogar die SZ macht mit und nennte sie "frustrierte Tucke" (dieselbe SZ, die diesen Montag mit einem nichtssagenden Porträt späte Abbitte leistet).
Während sie die Aggressionen der Männer zumindest einordnen kann, kommt sie mit denen ihrer Geschlechtsgenossinnen nicht klar: "Mein Problem waren die Frauen." Die Frauen finden sie entweder ebenso "frustriert" wie die Männer, oder aber sie werfen Schwarzer vor, sich auf ihre Kosten zu bereichern.
Dieser Vorwurf begleitet Schwarzer bis heute. Der Frauenkalender, die Emma, immer wenn die gelernte Journalistin etwas professionell anpackt, grätscht die Basis ihr rein: Gegenkalender, Gegenzeitschriften (die Courage), Boykottaufrufe, Vorwürfe. Als Schwarzer Emma konzipiert, geht sie abends nur noch in Schwulendiscos: "Da sind wenigstens keine Frauen."
Eine Frau wie eine Dampfwalze
Dass Schwarzer sich Raum, Zeit, Geld nimmt, kommt in der graswurzelorientierten Szene nicht an, "Frauen gemeinsam sind schwach", so ähnlich unkt Schwarzer über die herrschende Mentalität. Dass sie, die lieber allein ist als in Gruppen, zur Antipathie auch beiträgt, erwähnt sie nicht. Ihre legendären Wutanfälle, die etwa Bascha Mika in ihrer Schwarzer-Biografie schildert, kommen hier nicht vor. Eine Frau wie eine Dampfwalze und die manchmal betuliche, manchmal einfach intellektuellere, immer aber jakobinische Frauenbewegung - das bleibt ein Konfliktherd erster Güte, bei dem Schwarzer sich fragt, ob die Stasi ihre Finger im Spiel hatte.
Die dogmatischen Jahre Schwarzers mit ihren Kreuzzügen gegen Prostitution, Porno und Islam werden wohl erst im zweiten Band Thema. Und damit auch ein Großteil des heutigen Konflikts mit den Nachgeborenen wie Charlotte Roche.
So wirft sie Charlotte Roche in einem "offenen Brief" vor, Schwarzer, die in "Schoßgebete" als lustkillendes Überich firmiert, als Projektionsfläche zu missbrauchen. Dabei sei die von Roche konzipierte sexsüchtige Heldin nicht die Lösung, sondern das Problem. Wie so oft bei Alice Schwarzer möchte man "Ja, aber" sagen. Ja, Alice Schwarzer wird als Projektionsfläche gebraucht. Aber warum um Himmels willen sollte ein Roman eine Lösung beschreiben müssen statt eines Problems?
Es ist zu befürchten, dass das die Alice Schwarzer des zweiten autobiografischen Bandes wird: eine Frau, die alle Lösungen parat hat. Und damit ein Problem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern