piwik no script img

Schwarzer Mohn aus Afghanistan

■ In der Sowjetunion haben Afghanistan–Heimkehrer und prohibitive Alkoholpreise den Handel mit Opium und Haschisch in Schwung gebracht / Billiger als Wodka und Cognac / Die Presse schreibt seit einigen Monaten offen über Drogenprobleme, aber die Behörden suchen hilflos den Weg zwischen Strafe und Therapie

Von Florian Bohnsack

„Im Bett liegt eine gekrümmte Gestalt. Graue welke Haut spannt sich über die Knochen. Die Venen der Arme wie dünne Röhren, von entzündeten Knoten verstopft. Ein Mädchen von 19 Jahren.“ Quelle der Beschreibung: Die sowjetische Regierungszeitung Iswestija. Ein junger Mann berichtet, von seinen 25 drogensüchtigen Freunden seien „nur noch sechs am Leben“. Eine 17jährige, die „seit drei Jahren“ Opium raucht, erzählt, daß von ihren 30 Mitschülern „nur drei drogenfrei sind“. Die Quelle: Eine Reportage der sowjetischen Wochenzeitung Sobessednik. Was noch vor Monaten schamhaft verschwiegen wurde, steht jetzt im Klartext überall in der sowjetischen Presse. Heute wird öffentlich zugestanden, daß Drogenmißbrauch nicht nur im Kapitalismus existiert. Der Parteispitze ist es mit einer Pressekampagne gelungen, für ihren Kampf gegen die Drogen den ideologischen Boden zu bereiten. Mit Hubschraubern, so berichtet die Gewerkschaftszeitung Trud, werden Dealer und Mohnbauern in den asiatischen Sowjetrepubliken gejagt. Unter Maisstauden und zwischen den Baumwollfeldern suchen die Fahnder die saftproduzierenden Kapseln. Angeblich mit Erfolg: Eine „Operation Schwarzer Mohn“ soll den Mohnanbau im vergangenen Jahr auf ein Zehntel verringert haben. „Tausende“ von illegalen Mohnbauern sollen gefaßt und bestraft worden sein. Zwei leitende Angestellte einer Kolchose wurden aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Sie hatten nicht verhindert, so das Urteil, daß „auf staatlichem Boden von unehrenhaften Personen Gift angebaut wurde“. Hasch und Heroin - alles dasselbe Im Kampf gegen den Drogenmißbrauch werfen Medien und Behörden alles in einen Topf: den Joint mit der Opiumpfeife, die Morphiumampulle, die aus dem Krankenhaus verschwindet, mit dem Verdünnungsmittel zum Schnüffeln. Irritiert zeigen sich die Journalisten darüber, daß - wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge - über die Hälfte der jugendlichen Drogenbenutzer aus „intakten Familien“ kommt. In Georgien, so eine Studie des einheimischen Soziologen Gabiani, besitzt die Mehrheit von ihnen sogar Hochschulreife. Verblüfft zeigt man sich auch darüber, daß etwa gleich viele junge Frauen wie Männer zu Drogen greifen. Auch mit den Gründen tut man sich in der Presse schwer. Die Rede ist vom „Müßiggang der Jugendlichen“, von der raschen Industrialisierung oder der Unmöglichkeit, seinen Lohn in Konsumartikel umzusetzen. Die, so klagt die Zeitung Sobessednik, seien „entweder schwer zu bekommen oder von schlechter Qualität“. Zwei andere Gründe fallen in der Presse unter den Tisch: Der Krieg in Afghanistan hat in der Sowjetunion ähnliche Folgen wie seinerzeit der Vietnamkrieg in den USA. Die oft erst 17jährigen Rekruten gewöhnen sich schnell an den Drogenkonsum. Neu ins Feld rückende Einheiten bringen sich den Stoff auch schon mal aus Kirgisien und Tadshikistan selber mit. Im vergangenen August stellte man dabei zwei LKWs am Grenzübergang. Beide Fahrer und der verantwortliche Offizier wurden standrechtlich erschossen. Doch Exekutionen zeigen nur wenig abschreckende Wirkung: Die Rückkehrer verbreiten den Stoff in ihrer Heimat, über alte Kontakte regeln sie den Nachschub. Für Haschisch und Opium zahlt der Konsument in Moskau mittlerweile weniger als für Wodka oder Cognac. Jugendliche, die sich Alkohol nicht mehr leisten können, kaufen sich lieber einen Joint. Lange haben die „Suchtbeauftragten“ in den Schulen die Trunksucht bekämpft. Heute jammern sie in Leserbriefen an ihre Zeitung, mit den Alkoholbeschränkungen Gorbatschows werde „der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben“. Da hilft auch nicht, daß die Verbreitung, Herstellung und Einnahme von Drogen jeder Art mit Haft nicht unter zehn Jahren geahndet wird. Jugendliche, die mit einem Joint erwischt werden, wandern ebenso ins Umerziehungslager wie Süchtige, denen eine Zwangstherapie nicht geholfen hat. Die offiziellen Zahlen über Drogenabhängigkeit sind nur schwer zu beurteilen. Innenminister Wlassow, der oberste Rauschgiftfahnder, nannte in der Prawda die Zahl von 46.000 Drogenabhängigen. 4.000 davon seien inhaftiert. Der Moskauer Parteichef Jelzin zählte im ver gangenen Herbst 3.700 Süchtige allein in der Hauptstadt und erließ eine Meldepflicht für Suchtkranke. Gleichzeitig schuf er nicht weniger als elf Spezialkliniken, in die Süchtige auch zwangsweise eingeliefert werden. Auf Freiwilligkeit setzen dagegen die Verantwortlichen in der sowjetischen Karakalpakischen Autonomen Republik. Sie haben spezielle Behandlungsräume eingerichtet, wo Suchtkranke sich auch anonym behandeln lassen können. Ob sich dadurch, wie die Behörden hoffen, mehr Freiwillige in eine Entziehungskur begeben, hängt freilich auch von der Qualität der Behandlung ab, und die läßt bislang zu wünschen übrig. „In den Krankenhäusern gibt es nur eine 08/15–Behandlung für Alkoholiker und Drogensüchtige“, kritisiert die Sobessednik. Vorbeugemaßnahmen seien bei Behörden wie Bevölkerung nahezu unbekannt. Ein einziger Buchtitel zirkuliert in der Sowjetunion, der sich mit Drogenproblemen beschäftigt: ein 13 Jahre alter Schinken aus Rumänien, im Buchhandel längst vergriffen. Trotz des Mangels an Gedrucktem soll in diesem Schuljahr in der Sowjetunion erstmals über Drogen geredet werden - im Biologie– und Familienunterricht. Doch ob die Lehrer, deren Unterricht in Sexualaufklärung schon als flüchtig bekannt ist, das heiße Eisen so schnell anfassen werden, steht in den Sternen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen