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■ StandbildSchwarz-weiße Socken

„Tacheles“, Donnerstag, 22.15 Uhr, ZDF

Drüben bei „Schreinemakers“ wurde gerade über weiße Socken diskutiert, als „Tacheles“ begann, die neue ZDF-Talkshow mit Johannes Gross. Hier ging es um die Zukunft von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen als Koalitionsmodell für Bonn. Wie zu erwarten, erfuhr man über beide Themen nichts Neues. Doch Gross, dem von Ernst Jünger besonders geschätzten FAZ-Aphorismenautor, gelang es immerhin, weniger scheintot als Erich Böhme in seinem „Talk im Turm“ zu wirken.

Fünf Gäste auch hier; alles Anzugmänner, nur einer im Strickpulli und der aufrichtigen Opferrolle, die sonst für Frauen reserviert ist: der Bochumer Grüne Martin Budich. Der alternative Basismann hielt sich meist zurück, schließlich war mit Argumenten wenig zu gewinnen in einer Debatte, die zwischen billiger Unternehmerpolemik und sozialdemokratischer Staatsbürgerkunde schwankte.

„Das sind keine Konflikte, sondern Sachfragen“, kommentierte NRW-Betonminister Wolfgang Clement die rot-grüne Krise. Und der Melitta-Unternehmer Thomas Bentz teilte zur allgemeinen Standortfrage mit: „Die Portugiesen sind glücklich, daß wir dort Kaffeemaschinen produzieren.“ Der grüne Bauminister Michael Vesper wies brav auf die Rekordgewinne von Bayer und Krupp hin – und mimte ansonsten den Sozi mit Katalysator.

Moderator Gross gab sich zunächst als beflissener Bildungsbürger: Goethe wurde zitiert, der Begriff Konkordat bemüht, das Alter ego in den Raum geworfen. Zur Sache kam der Publizist, der seine Verachtung für Frauen, Pazifisten, Sozialhilfeempfänger und Behinderte regelmäßig im „Notizbuch“ des FAZ-Magazins verbreitet, erst kurz vor Schluß.

Da wurde globalisiert im großen Stil. Längst ging es nicht mehr um irgendeinen Dortmunder Flughafen, sondern um den Telefonkonzern AT&T, der weltweit 40.000 Arbeitsplätze abbaut. Dies sei einerseits „menschenunfreundlich“, so Gross, aber eben „ökonomisch zwingend“. Andererseits: „Das empfinden wir nicht als vorbildlich.“ Grandiose Gross-Heuchelei. Üblicherweise pflegt dieser Herr, der garantiert keine weißen Socken trägt, in seinen Kolumnen den Kapitalismus als ein Wesen zu bezeichnen, „das absichtslos auf höchst kunstvolle Weise ein sinnvolles Ganzes“ erzeugt. Soviel Tacheles erspart jeden Talk. Philip Kahle

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