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Archiv-Artikel

Punkrock-Nostalgie oder Soli-Aktion für Justizopfer? Hardcore-Ikone Henry Rollins spielt Hits von ganz früher Schwarz ist die Fahne der Gerechtigkeit

Im Mai 1993 wurden nahe der Kleinstadt West Memphis, Arkansas, drei achtjährige Jungen ermordet aufgefunden. Mehrere Jugendliche, die zur vermuteten Tatzeit in der Nähe gewesen sein sollen, wurden von der Polizei befragt und wieder auf freien Fuß gesetzt. Erst einen knappen Monat später kam es in einem weiteren Verhör zu einem vermeintlichen „Geständnis“, woraufhin Haftbefehl gegen Damien Echols, Jason Baldwin und Jessie Misskelley erhoben wird.

Im März des folgenden Jahres wurden die drei wegen dreifachen Mordes verurteilt: Echols zum Tode, die beiden anderen zu lebenslanger Gefängnisstrafe ohne Option auf vorzeitige Entlassung. Das Verfahren war geprägt durch die Nichtbeachtung entlastender Beweismittel und die Verwechslung von Ressentiments mit gesicherten Erkenntnissen. Aus den Heavy-Metal-Fans wurden in den Augen der hyterisierten Öffentlichkeit monströse Satanisten und so war der tragische Dreifachmord schnell als Teil entsprechender Rituale eingeordnet.

Nachdem er eine betont neutrale TV-Dokumentation zum Fall der „West Memphis Three“ (WM3) gesehen hatte, beschloss Henry Rollins, er müsse etwas gegen dieses, wie er fand, himmelschreiende Unrecht zu tun. „Ich wusste, wenn ich nichts tue, hieße das, mich einzureihen in jene dunklen Mächte des Unrechts“, so der vielleicht bekannteste Bodybuilder der US-Alternative-Szene im Booklet zu Rise Above – 24 Black Flag Songs To Benefit The West Memphis Three. „Was konnte ich tun? Ich hätte einen Scheck ausschreiben können, um die Verteidiger zu unterstützen. Das wäre gut, aber es wäre auch ziemlich diskret gewesen – und ich dachte, diese Situation erfordert Lautstärke und Bewegung.“

Rollins, erklärter Gegner hoch motivierter, aber oftmals auch musikalisch eher gut gemeinter Benefizplatten, dachte sich ein Konzept aus, das zunächst ihn selbst zu überzeugen hatte: Mit seiner aktuellen Band (in einer leicht geänderten Besetzung) spielte er 23 Stücke seiner legendären Hardcore-Band Black Flag ein, womit schon mal eine eventuell nostalgisch zu nennende Zielgruppe von ganz früher erreicht worden sein dürfte. Andererseits sollte nicht ausschließlich an vergangene Glorie gemahnt werden, sondern auch und gerade ein Publikum angesprochen, das den drei Inhaftierten nahe steht: Freunde lauter, vermeintlich böser und als „satanisch“ diffamierter Rock-Klänge.

Also holte Rollins einen Schwung durchaus prominenter Frontmänner – Sängerinnen sind gerade mal zwei dabei – an Bord, um einige der Punkrock-Kracher darzubieten. Gelungen ist, wie einige der Beteiligten durch die Wahl des jeweiligen Songs auch und gerade ihre eigene Vita mitreflektieren: So röhrt der passionierte Bourbon-Trinker Lemmy (Motörhead) bei „Thirsty & Miserable“, während der vom langen Heroin-Lifestyle gezeichnete Exzess-Veteran Iggy Pop in „Fix Me“ näselt. Weiterhin dabei: Dean Ween, Hank Williams III., Mike Patton und viele andere. Trotz des ernsten Hintergrunds eine enorm unterhaltsame Angelegenheit, die jetzt in einer reduzierten Live-Variante durch die Lande zieht.

Während Fanseiten im Internet melden, mit Keith Morris habe Rollins bei einigen US-Konzerten immerhin einen seiner Vorgänger am Black Flag-Mikro dabei, müssen europäische Konzertgänger wohl auf die prominenten Gaströhren verzichten. Hier dürfte der Chef noch selbst grummeln und schreien.

ALEXANDER DIEHL

Montag, 21 Uhr, Fabrik