Schwarz-Grüner Landkreis in NRW: Feinde werden plötzlich Freunde
Es gibt sie schon, die schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen, nämlich im Kreis Rhein-Sieg. Während des Wahlkampfs kommt die CDU-Parteispitze auch dort vorbei.
EITORF/HÜRTH taz | Es sieht aus wie die Inszenierung von Wahlkampf, wie man sie seit Jahrzehnten kennt. Lokale Honoratioren sitzen an diesem Abend im Festsaal des Hotels Schützenhof auf dem Podium, am Rednerpult hängt ein Plakat des prominenten Landtagskandidaten, an langen Tischen sitzen einige Dutzend Sympathisanten und nippen an ihrem Kölsch.
Was zum Klischee weniger gut passt, ist die Rede, die der Bundesumweltminister hier in Eitorf an der Sieg gerade hält. Norbert Röttgen wird gern grundsätzlich, da macht er auch im Wahlkampf keine Ausnahme. Er verteidigt seine Pläne zum Atomausstieg, fordert den Ausbau der erneuerbaren Energien, baut sogar Griechenland und die europäische Schuldenkrise in sein Konzept noch ein. Er verlangt die Abkehr "von einer Lebensweise, die Schulden und eine ausgebeutete Erde hinterlässt".
Es ist eine Rede, wie man sie früher bei den Grünen hörte. Auch das Publikum fragt grün. Warum Röttgen die Solarförderung kürze, ob der Windpark in der Nordsee nicht die Natur verhunze, warum die Stadt Siegburg ein monströses Einkaufszentrum baue. Keiner äußert das dringende Bedürfnis nach längeren Atomlaufzeiten.
Eine Woche vor der NRW-Wahl können weder die regierende schwarz- gelbe Koalition noch die rot-grüne Opposition mit einer Mehrheit rechnen. In einer Infratest-dimap-Umfrage für die ARD kommen beide Lager auf jeweils 45 Prozent. Die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte für das ZDF-"Politbarometer" einen knappen Vorsprung für Rot-Grün: SPD und Grüne kommen zusammen auf 44,5 Prozent, CDU und FDP gemeinsam auf 43,5 Prozent.
Die Wahlforscher sehen die CDU zwischen 35 (ZDF) und 37,5 Prozent (ARD), die SPD zwischen 33 (ARD) und 33,5 Prozent (ZDF). Für die Grünen ermittelten sie 11 (ZDF) bis 12 Prozent (ARD) und für die FDP 7,5 (ARD) bis 8,5 Prozent (ZDF). Die Linke kommt auf 5,5 (ARD) bis 6 Prozent (ZDF).
Laut ZDF-Umfrage hätte auch Schwarz-Grün keine Regierungsmehrheit. Rechnerisch möglich sind demnach nur eine große Koalition sowie eine rot-rot-grüne Koalition oder ein Ampelbündnis von SPD, FDP und Grünen. In der ARD-Umfrage reicht es dagegen für eine schwarz-grüne Koalition.
Seit elf Jahren kooperiert die CDU im Rhein-Sieg-Kreis schon mit den Grünen. Seit vorigem Jahr in einer förmlichen Koalition, obwohl es auch mit der FDP zu einer Mehrheit gereicht hätte. Wer im Internet nach den amtlichen Mitteilungen der Kreisverwaltung forscht, findet fast ausschließlich Themen des Natur- und Klimaschutzes: Wasserwoche, Energiesparen, Heizspiegel. "Für eine Politik der Mitte und des Augenmaßes" steht über der Koalitionsvereinbarung. Als wären beides Attribute, die auf die FDP nicht zuträfen.
Das wäre vielleicht nicht besonders bemerkenswert, würde man nicht die Akteure kennen. Als CDU-Kreisvorsitzender amtiert Andreas Krautscheid, Generalsekretär der Landespartei und möglicher Nachfolger eines trudelnden Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Örtlicher Bundestagsabgeordneter ist Röttgen, mit Krautscheid seit Jahrzehnten befreundet - auch wenn die Freundschaft zuletzt etwas litt, als die beiden um den Vorsitz des mitgliederstarken CDU-Bezirksverbands konkurrierten. Dafür versteht sich Röttgen neuerdings sehr gut mit Rüttgers, der den Freund schwarz-grüner Bündnisse, wie es heißt, gern im Amt des Berliner Fraktionsvorsitzenden gesehen hätte.
Einen Abend später sprechen Rüttgers und die Bundeskanzlerin auf der anderen Seite des Rheins, in Hürth, am südwestlichen Stadtrand von Köln. Es ist die Gegend, in der Jürgen Rüttgers zu Hause ist, ein Ort, an dem er bis vor kurzem noch ein Heimspiel gehabt hätte. Braunkohle und Chemiewerke, Reihenhäuser und Fabriken, das Spielfeld des selbst ernannten Arbeiterführers. Im Rhein-Erft-Kreis regiert die CDU noch mit der FDP, eine programmatische Überschrift hat der Koalitionsvertrag allerdings nicht. "Vereinbarung über die verlässliche Zusammenarbeit" lautet der Titel, als gebe es gewisse Zweifel an der Verlässlichkeit der FDP.
Spätestens seit der Sponsoring-Affäre wirkt Rüttgers bei seinen Auftritten unsicher. Er verhaspelt sich beim Reden, er findet keine zündenden Themen, jetzt muss er auch noch die Hilfen für Griechenland rechtfertigen. Am Ende ist es nur ein Argument, das aus seiner Rede hängen bleibt. "In der Krise wechselt man die Pferde nicht", sagt Rüttgers. Krise, das gefällt Angela Merkel nicht. "Am Berg wechselt man die Pferde nicht", sagt sie dafür gleich zweimal.
Zu Jahresbeginn gab es in Berlin Bedenken, ob Rüttgers als Chef eines schwarz-grünen Zukunftskabinetts die Kanzlerin womöglich überstrahlen könnte. Inzwischen steht nicht mal mehr fest, ob die CDU für ein solches Zweierbündnis genügend Stimmen bekommt. Oder ob Rüttgers froh sein darf, wenn er sich in eine Regierung mit den verhassten Sozialdemokraten retten kann.
Wenn es dazu kommt, dann lag es allein an Rüttgers selbst. Das ist es wohl, was ihn am meisten wurmt.
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