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■ Schwarz-Grün kann man nicht wegexorzierenVom Realitätsgehalt der Gespenster

Da haben sie nun alle abgewiegelt: Schwarz-Grün ist eine Gespensterdebatte, so die Botschaft von Fischer und Co. auf dem bündnisgrünen Bundesparteitag. Schließt die Augen, liebe Kinder, und schlaft weiter, Gespenster gibt es nicht. Doch kann man, was viele Leute immer wieder neu interessiert, einfach wegexorzieren?

Jeder, der den politischen Farbkasten richtigrum hält, weiß, Schwarz-Grün geht nicht, aber Rot-Grün. Warum dann in immer neuen Wellen die Diskussion über Schwarz-Grün? Läßt man einmal alle bloß taktischen Geplänkel beiseite, wird man nicht umhin können, festzustellen: Schwarz-Grün ist so etwas wie eine diskursive Tatsache. Der Realitätsgehalt ist die Realität der Rede. Es winkt der Gewinn des Sprechenden (Foucault). Was Foucault im Zusammenhang mit der Geschichte der Sexualität geschrieben hat, gilt vielleicht auch hier: „Wer diese Sprache spricht, entzieht sich bis zu einem gewissen Punkt der Macht, er kehrt das Gesetz um und antizipiert ein kleines Stück der künftigen Freiheit.“

Ich glaube, daß es sich die Abwiegler der schwarz-grünen Debatte zu leicht machen. Die Heftigkeit der schwarz-grünen Diskussion verweist zumindest auf den Wunsch nach Veränderung dieser Rechts-Links-Mitte-Parteienlandschaft. Das Unbehagen über eine die Lösung von Sachproblemen oft erschwerende politische Schubladenlehre sucht zunächst in der Diskussion ein Ventil. Dies sollten die Grünen verstehen und akzeptieren. Ich glaube nicht, daß Schwarz- Grün-Diskussionen, nüchtern und behutsam geführt, den Grünen schaden. Eher im Gegenteil. In dem Land, in dem es seit vielen Jahren immer wieder schwarz- grüne Diskussionen gibt, haben die Bündnisgrünen mit 9,6 Prozent das beste Flächenland-Ergebnis bei der Bundestagswahl, vor Hessen und weit vor Niedersachsen.

Allerdings dürfen die Grünen nicht zu Schwarz-Grünen werden. Bündnisgrüne stehen für Reformprojekte, und Koalitionen sind mögliche Mittel zu deren Durchsetzung. Die sächsische Offensive für Schwarz-Grün war eine Bekenntnisoffensive, die sich des FDP-Verdachts („Wir wollen regieren, komme was da wolle“) nicht erwehren konnte. Schwarz- Grün wird es, wenn überhaupt, nur geben, wenn die Grünen grün bleiben. Ich plädiere hier nicht für die alsbaldige Durchsetzung schwarz- grüner Regierungen auf Landes- und Bundesebene. Ich plädiere dafür, der diskursiven Realität von Schwarz-Grün Rechnung zu tragen. Immer bereit, wechselnde Mehrheiten zu suchen, auch wenn parlamentarische Realität dies nicht (und zum Verdruß der Mehrheit der Wähler) ermöglicht.

Eine Antje Vollmer macht noch keinen Sommer. Schwarz-Grün wird es oberhalb der kommunalen Ebene niemals geben, es sei denn, die CDU würde sich in wesentlichen Inhalten bewegen. Die Diskussion über Schwarz-Grün ist also im wesentlichen eine Anfrage an die Reformfähigkeit der CDU. Andere Parteien unter Reformdruck zu bringen ist ein Zeichen von Stärke (siehe Frauenquote), deswegen wäre es schädlich, die schwarz-grüne Karte aus dem Spiel zu nehmen. Wenn Schäuble sagt, die Grünen müßten sich zehn Jahre weiter verändern, dann wird man allerdings die Frage stellen müssen, ob der CDU für eine echte Reform zehn Jahre reichten.

Das wichtige am Schäuble-Fischer-Coup war, daß der SPD deutlich gezeigt wurde, daß sie ihr Verhältnis zu den Grünen klären muß. Die Grünen sind nicht der Bankert der SPD. Die politische Kunst der Bundestagsfraktion wird darin bestehen, der SPD immer wieder klarzumachen, daß wir nicht die grünen Trottel sind, die darauf warten, was uns die rote Mutter vorschlägt. Auf der anderen Seite muß Fischer die schnell beleidigten Genossen immer wieder ermuntern, damit sie nicht gleich zur Großen Koalition beziehungsweise zum Mehrheitswahlrecht überlaufen. Fischer muß auf den Schwebebalken.

Der Unterschied zwischen Rot und Schwarz, jedenfalls was politische Realitäten angeht, wird überschätzt. Natürlich steht in den Programmen was anderes drin. Und die Schnittmenge der grünen und roten Programme ist um ein Vielfaches größer als die des schwarzen und grünen. Aber was wird daraus in der politischen Realität? Alles drängt zur Mitte, Schwarz und Rot, und so verschwimmen die Unterschiede. Der Kompromiß in der Pflegeversicherung zeigt, wie nah sich Rot und Schwarz schon sind. Das Finanzierungsprinzip unserer Sozialversicherung ist formal noch festgehalten, aber die Arbeitnehmer übernehmen den Teil der Arbeitgeber durch kollektive Mehrarbeit. Ein schönes Signal der Beschäftigten an die Arbeitslosen. Und ein wunderbarer Kompromiß zweier Volksparteien, die zwar ganz unterschiedlich über die Zweidrittelgesellschaft reden, die aber, wenn's zum Schwur kommt, beide auf der Seite der zwei Drittel stehen. André Gorz schrieb in der taz vom 16.8. unter der Überschrift „Auf der Suche nach der freien Zeit“: „Die konservative Antwort, die die alte Linke und die Rechten gemeinsam haben, besteht darin, die grenzenlose Expansion der Sphäre der Lohnarbeit und der Warenwirtschaft zu setzen, um die Lohnarbeitsgesellschaft zu retten und dem Kapital neue rentable Anlagefelder zu retten.“

Die Rechts-Links-Unterscheidung darf nicht das alleinige Raster zur politischen Positionsbestimmung sein. Sie ist nicht unbedeutend, aber sie ist nicht alles. Norberto Bobbio hat das Bemühen um Egalität als die Quintessenz der Unterscheidung von Links und Rechts bezeichnet. Sicherlich zu Recht. Aber was wird daraus, wenn die SPD und, noch schlimmer, die PDS kein ökonomisches Konzept haben, um mehr Gleichheit zu finanzieren. Eine etatistische Linke, die letztlich nur über Wirtschaftswachstum eine Transformation für mehr Gerechtigkeit erzielen kann, ist im Gorzschen Sinne konservativ. Deswegen dürfen die Grünen nicht in die Falle tappen, in Abgrenzung zur PDS einen Wettbewerb um die radikalste, linkeste, aber nicht ökonomisch darstellbare Lösung zu betreiben. Mieten runter, Löhne rauf ist etatistischer Unsinn.

Bündnisgrüne Politik muß sich verstärkt um die Durchsetzbarkeit ihrer zentralen Reformprojekte bemühen. Die Diskussion über Schwarz-Grün kann hier hilfreich werden. Ich glaube nicht, daß die Grünen jetzt (wie Joachim Raschke in der taz vom 19.11. fordert) ein Grundsatzprogramm brauchen. Aber sie brauchen eine Grundsatzdebatte über Strategien der Durchsetzbarkeit ihrer Reformprojekte. Dazu gehört auch die Frage, wie grüne Projekte, zum Beispiel das ökologische Wirtschaften, auch im nicht rot-grünen Teil der Gesellschaft hegemonial werden könnten. Vielleicht ist ja die Durchsetzbarkeit des Reformprojekts „Ökologisches Wirtschaften“, die ja nur eine Durchsetzbarkeit gegen Status-quo-Interessen der Wirtschaft ist, mit der CDU größer als mit der SPD. Ob eine sozialdemokratische Partei im nach- sozialdemokratischen Zeitalter (Ralf Dahrendorf) die richtige Adresse für den Umbau des Sozialstaates ist, sollte man sich überlegen. Wer je mit Sozialdemokraten über garantiertes Grundeinkommen, Rentenreform, wertschöpfungsfinanzierte Sozialabgaben oder Subsidiarität diskutiert hat, wird verstehen, was ich meine.

Die Grünen müssen die politischen Glaubensbekenntnisse entzaubern. Sie dürfen sich nicht als geborene Rot-Grüne verstehen. Auch nicht als Schwarz-Grüne. Die Grünen müssen sich als Grüne verstehen, die dieser Bundesrepublik eine „Werkstatt für Reformen“ (Antje Vollmer) anbieten.

Wer für die Grünen eine solche Position der inhaltlichen Unabhängigkeit reklamiert, sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, eine grüne FDP auf den Weg bringen zu wollen. Wenn FDP dafür steht, um der Macht willen und bei Beliebigkeit der Inhalte prinzipiell und immer mit allen zu können, dann könnten die Grünen auf FDP-Kurs einpacken. Die prinzipielle Fähigkeit, nach Koalitionsverhandlungen oder Sondierungen auch nein sagen zu können, schützt vor dem FDP-Virus. Die Grünen nach FDP-Art würde im übrigen das Bedürfnis nach tatsächlicher Erneuerung des Parteienspektrums, dem sich, wie gesagt, die diskursive Realität der schwarz-grünen Debatte verdankt, schnellstens frustrieren. Nicht nur die FDP, sondern auch die Rolle der FDP hat sich überholt.

Ich plädiere nicht für einen Lagerwechsel nach dem Muster „Weg von Rot, hin zu Schwarz“. Mehr prinzipielle Distanz zu beiden und mehr Bereitschaft, mit beiden inhaltliche Zusammenarbeit in Einzelfragen zu erkunden, würden die Grünen zu einem Motor der inhaltlichen Diskussion zwischen den Volksparteien alten Typs werden lassen. Dazu müssen die Grünen endlich professionell geführt werden. Politische Vorstände müssen eine moderne Dienstleistungspartei aufziehen, Wahlkampagnen planen und organisieren, die sich deutlich vom Nashorn- und Steckdosen-Dilettantismus der Bundestagswahlkampagne abheben.

Wahrscheinlich kostet es viel Kraft, die Wahl politischer Bündnispartner auf Zeit nicht nach der Gefühlsarchitektur des Freund- Feind-Schemas vorzuentscheiden. Ein einfacher politischer Lehrsatz sollte die Gefühle begleiten: Man koaliert nicht mit Freunden, sondern mit Gegnern. Fritz Kuhn

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