: Schwangeren–“Hilfe“ der Lebensschützer
■ In Kleinanzeigen versprechen „Lebensschutz“–Gruppen schwangeren Frauen Hilfe / Dubiose Vorsichtsmaßnahmen begleiten die „Beratungsgespräche“ / Frauen sollen auf keinen Fall abtreiben / Gibt es Verbindungen zu kommerziellen Adoptionsvermittlern?
Von Heide Soltau
„Schwanger? Verzweifelt? Wir helfen!“ ,heißt es da in der Rubrik „Vermischtes“, in der sich diverse Kleinunternehmen empfehlen: eine Zwei–Mann–Band, eine Goldschmiedemeisterin, ein pfiffiger Computerfreak, der Lottospielern gewinnträchtige Systeme zu entwerfen verspricht. Wie viele andere Zeitungen auch, präsentiert die Süddeutsche hier eine bunte und zuweilen seltsame Mischung. Neben der Münchener Telefonnummer ist die Sprechzeit angegeben: freitags von 19 bis 22 Uhr. Schwangere und Verzweifelte müssen sich in Geduld fassen, denn wer sonst diese Nummer wählt, trifft nur auf den Anrufbeantworter: „Kontakt und Hilfe München“, meldet sich eine Frau vom Band, die Hilfesuchende auffordert, ihr Anliegen kurz zu schildern und Namen und Telefon zu nennen. Diskretion, so wird versichert, sei selbstverständlich. Schluß. Aus. Das ist alles. Ob je eine Frau das Angebot wahrgenommen hat? Aber vielleicht gehört diese Übung bereits genauso zum Konzept der Hilfstruppe wie die Annoncen unter „Vermischtes“? „Schwangerenhilfe“ tönte es am Freitag aus dem Hörer, eine Männerstimme diesmal. Verraten, um welche Hilfe es sich denn handelt, will der Mann nicht. „Das kommt ganz auf den Einzelfall an“, lautet die ausweichende Antwort. Er schlägt ein persönliches Gespräch vor, „am neutralen Ort, würde ich sagen, es gibt eine ganze Reihe von ruhigen, abgelegenen Cafes“. Termin: drei Tage später vor einer der besagten Örtlichkeiten. Sein Erkennungszeichen: ein langer Mantel. Lassen wir den Herrn im langen Mantel warten - die Reise vom Norden in den Süden wäre zu weit - und begeben uns nach Hamburg. Überredungskünste „Nehmen Sie die Strapazen auf sich. Abtreibung ist keine Hilfe. Es gibt ein Heer depressiver Frauen, das ist klinisch erwiesen. Sie belasten Ihr Gewissen. Sie werden das Kind nie los, nie“, sprudelt es aus der Dame heraus, die aus München von der ratsuchenden Frau aus Hamburg erfahren hatte und sich schon einen Tag später telefonisch meldet. „Das Baby lebt, es lebt vom ersten Augenblick, und mit sechs Wochen ist alles fertig, es wächst nur noch.“ Dann erst, nach der überfallartig erfolgten Schocktherapie, läßt sie sich den Fall schildern. „So, Ihr Freund ist verheiratet und Vater zweier kleiner Kinder. Das müssen Sie natürlich bedenken“, der Redefluß versiegt einen Moment, „dann wäre es wohl besser, Sie geben die Vaterschaft gar nicht an. Sie wollen doch die Ehe nicht aufs Spiel set zen. Wenn das die Frau erfährt, wird sie sich vielleicht scheiden lassen. Das geht nicht. Die armen Kindern! Sie wollen doch keine Scheidungswaisen hinterlassen. In dem Fall würde ich wirklich sagen, halten Sie den Vater heraus!“ Auch sie schlägt, wie ihr Münchener Kollege, ein persönliches Ge spräch vor, und auch diesmal solle es an einem neutralen Ort stattfinden: vor P & C, einem großen Bekleidungskaufhaus. Die Dame will in Rosa und Weiß auftreten, steht tatsächlich zur verabredeten Zeit im rosafarbenen, pflegeleicheten Look vor besagtem Geschäft. „Na, haben Sie schon einen Bauch? Und geht es Ihnen gut?“, begrüßt sie mich und stellt sich als Gerda P. vor (Name der Red. bekannt). Suchend schaut sie sich nach einem ruhigen Plätzchen um und führt mich dann zu einer abseits stehenden Bank. „Stellen Sie sich vor, es wird ein Junge! Das wäre doch schön“, strahlt sie mich an, als wir uns gerade niedergelassen haben. „Na ja, ein Mädchen ist auch etwas Schönes“, räumt sie ein und kramt in ihrer Tasche. Sorgfältig in Plastikfolie verpackt, zieht sie einige Papiere heraus. Adressen und Informationsmaterial der „Aktion Lebensrecht für alle“ und, gut versteckt, den Farbprospekt der „Europäischen Ärzteaktion“. „Das gucken Sie sich man zu Hause in Ruhe an, wenn Sie sitzen“, meint Gerda P. besorgt. „die Bilder sind grausam, aber da sehen Sie wenigstens deutlich, was Sie tun, wenn Sie abtreiben.“ In der Tat sind die Fotos schrecklich und dazu noch betrügerisch präsentiert. „Leben und Tod“ heißt es auf der ersten Seite. Dort sind zwei Föten abgebildet, eine lebend geborene Frühgeburt und ein angeblich abgetriebenes Kind. Beide sind 21 Wochen alt, so die Bildlegende. Erst bei genauerem Lesen des kleiner Gedruckten wird ersichtlich, daß der Vergleich hinkt. Das lebend geborene Baby ist in Wirklichkeit schon drei Wochen alt. Und ob der Fötus wirklich durch Abtreibung ums Leben kam, ist mehr als fraglich. Mit Bildern läßt sich bekanntlich alles und nichts beweisen. Gerda P. drückt mir die Papiere in die Hand. „Wenn Sie nur Vertrauen zu uns fassen! Es gibt so viele Möglichkeiten der Unterstützung. Allein 3.000 DM von der Stiftung Mutter und Kind, dann gibt es eine größere Summe vom Sozialamt und die katholischen Kirche verfügt auch noch über Gelder. Wir lassen Sie nicht allein, eine Pflegestelle für Ihr Kind findet sich bestimmt.“ Meine Zukunft scheint gesichert, die Helferin malt sie mir rosig aus. Falsche Informationen Nachfragem beim Sozialdienst katholischer Frauen, an den ich verwiesen wurde, ergeben: Die Informationen sind falsch. Von der Stiftung Mutter und Kind haben schwangere Frauen 800 DM zu erwarten und auch mit kirchlichen Geldern ist es mager bestellt. Es gibt einen bischöflichen und, in Hamburg, einen Fonds der katholischen Frauenvereine, „der aber im Moment über Geldmangel klagt“, wie Gabriela von Geisau, die beim Sozialdienst angestellte Sozialarbeiterin, hervorhebt. Von anderen Quellen weiß sie nichts. Sie, deren Beratungsstelle fast neben der von Pro Familia liegt, arbeitet mit den diversen Or ganisationen für das Leben nicht zusammen. Die Strategie der Abschreckung mit Bildern von zerstückelten Föten lehnt sie ab, „wir wollen Leben als etwas Positives darstellen“. Schwangere sollen zu nichts überredet werden. Glücklich scheint sie nicht über die aus dem Boden schießenden Initiativen, die sich oft mit dem Etikett „katholisch“ schmücken und so tun, als gäbe es nur eine Meinung unter Katholiken. Gabriela von Geisau ist auch entsetzt, als sie von dem Rat hört, den Vater beim Sozialamt nicht anzugeben. „Wir dürfen doch die Väter nicht aus der Verantwortung entlassen.“ Mit Ausnahme der Gruppe „Hoffnung für das Leben e.V.“, die innerhalb der Erzdiözese Paderborn anerkannt ist und dort mit den katholischen Beratungsstellen zusammenarbeitet, sind diese AbtreibungsgegnerInnen nicht autorisiert, im Namen der Kirche aufzutreten. In den „Pastoralen Handreichungen“ vom Oktober 1980 werden einige dieser „Lebensrechtsgruppen“ kritisch beurteilt, so etwa die „Europäische Ärzteaktion“, aber die Einwände beziehen sich vor allem auf Widersprüche zur Kirche. Zwar wird die Beratungskompetenz einiger Gruppen angezweifelt, bezeichnenderweise fehlt es aber meist an einer eindeutigen Distanzierung. Eiserne Helferinnen „Schwanger? Verzweifelt? Wir helfen!“ Was wie ein Krimi be gann, entpuppte sich als recht dilettantischer Versuch, auf Frauen Einfluß zu nehmen. Gerda P. ist vom Segen ihrer Arbeit überzeugt. Sie ist eine dieser hilflosen Helferinnen, für die Schein alles und Realität nichts ist. Die Doppelmoral ist ihr längst zur zweiten Natur geworden. Die Rettung von Ehe und Familie steht im Vordergrund, ob Frauen dabei glücklich sind, spielt keine Rolle. „Die Suppe, die man sich eingebrock hat, muß man eben auch auslöffeln“, meint lakonisch eine andere aus dem Kreis der „Lebensretterinnen“. Daran hat sich auch Gerda P. gehalten, hinter deren Biographie sich das ganze Elend eines Frauenlebens verbirgt. Seit über 30 Jahren verheiratet, fühlt sie sich bis heute von ihrem Mann unverstanden. Sie selbst hat in jungen Jahren unter Depressionen gelitten und wollte während dieser Zeit von ihrem kleinen Sohn nichts wissen. „Ich hatte oft Minderwertigkeitskomplexe, ich war doch nur Hausfrau“, erzählt sie mir in unserem Gespräch, doch seitdem sie sich für das „Leben ungeborener Kinder“ einsetzt, geht es ihr besser. Es sieht so aus, als hätten sich in diesen Initiativen eine ganze Reihe von Unglücklichen zusammengetan, deren Glück nun darin besteht, andere Frauen zu einem ähnlichen Leben zu verführen. Wer diese Helferinnen zum Sprechen bringt, und sie scheinen geradezu dankbar, wenn sie von sich erzählen dürfen, wird mit Geschichten konfrontiert, die Jüngeren nur das Fürchten lehren können. Was sich diese Frauen nicht gönnten, wovon sie noch nicht einmal zu träumen wagten, erlauben sie ebensowenig der nächsten Generation: ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Statt dessen wird das Unglück weitergegeben. - Das ist eine, tragische, Seite. Verbindung zu Adoptionsagenturen? Daß hinter diesen Organisationen für das Leben auch politische Macht steckt und daß manch eine von ihnen vor kriminellen Taten nicht zurückschreckt, ist eine andere Seite. Darüber hat Uta König 1984 im Stern geschrieben. Es gibt Initiativen, die Frauen überreden, ihr Kind auszutragen, um es dann gegen Entgelt zur Adoption freizugeben. Der „Bedarf“ an Säuglingen ist groß. Wo die Nachfrage besteht, gibt es auch Geschäftsleute, die sich um das Angebot kümmern und die Not von Frauen ausnutzen. Nachdem Terre des hommes keine Babies aus der Dritten Welt mehr vermittelt und nachdem die Regierung von Sri Lanka erklärt hat, sie würde ausländischen Paaren keine Kinder mehr zur Adoption freigeben, muß verstärkt auch im Inland für Nachschub geworben werden. „Im Kleinanzeigenteil diverser Zeitungen finden sich in mehr oder minder verhüllter Form Hinweise auf Kinderhändler“, so Rolf Bach, der Leiter der Gemeinsamen Zentralen Adoptionsstelle der norddeutschen Länder in Hamburg. Ob die Münchener Gruppe auch Adoptionen vermittelt und Frauen dafür ein Honorar verspricht, ließ sich nicht feststellen. Doch wer sich unter „Vermischtes“ im Kleinanzeigenteil versteckt und für Gespräche „konspirative“ Vorsichtsmaßnahmen trifft, macht sich zumindest verdächtig. Ob Kinderhandel oder nicht, es ist in jedem Fall ein Politikum, wenn diese „Lebensschützer“, die sich gern als katholisch ausgeben, zweifelhafte Ratschläge und falsche Informationen verbreiten. Frauen finden hier keine Hilfe. Die Gruppen bedienen sich ihrer nur als Mittel zum Zweck: Es geht um den Nachwuchs. Die Frau ist nur als Gebärmutter von Interesse.
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