Schulsystem: Die Angst vor "Restschulen" geht um
Niedersachsens Kultusminister will mittelfristig Haupt- und Realschulen zu Oberschulen verschmelzen. Außer ihnen gäbe es nur noch Gymnasien. Das dreigliedrige Schulsystem wäre abgeschafft.
Niedersachsens Kulturminister Bernd Althusmann (CDU) wird am heutigen Dienstag auf dem Bildungsgipfel in Hannover wohl das Ende des dreigliedrigen Schulsystem verkünden - auch wenn er das wohl so nicht sagen würde: Haupt- und Realschulen sollen zu "Oberschulen" zusammen gefasst werden, wenn das die Kommunen als Schulträger wollen. Es gäbe also mittelfristig nur noch Gymnasien und Oberschulen. Letztere sollen auch ein gymnasialen Zweig anbieten können. Mit diesem Modell geht er in das Gespräch mit Vertretern aus Bildungsverbänden, Landtagsfraktionen und Wirtschaft. Das berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung am Montag. Bestätigen wollten das am Montag aber nur Insider.
Das Ende der klassischen Aufteilung des Schulsystems in Niedersachsen in Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien hatte sich schon länger angekündigt - auch wenn die Regierungsparteien eigentlich eiserne Verfechter dieses Konzepts sind. Der Grund sind die sinkenden Schülerzahlen. Schulen nach dem alten Modell müssten in einigen Regionen sehr bald schließen, weil sie zu klein würden für die Vorgaben des Kultusministeriums. Weil die betroffenen Kommunen ihre weiterführenden Schulen nicht verlieren wollen, besteht Handlungsbedarf. Auch gilt die Hauptschule bei Eltern als unbeliebt.
Aus dem Kultusministerium und der CDU-Fraktion mochte sich am Montag niemand zum Oberschulen-Modell äußern. Auch die SPD will zunächst abwarten, was die Gespräche bringen. Somit überlassen die großen Parteien den kleinen die Bühne: Björn Försterling, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, findet das Modell "sehr viel versprechend". Dass es weiter "leistungsdifferenziert" zugehe, sei der FDP wichtig, sagt er. Außerdem sei wesentlich, dass die Schwelle für die Gründung einer Schule des neuen Typs bei zwei Klassenzügen liege.
Niedersachsen wäre das letzte Bundesland im Norden, das seine Hauptschulen abschafft.
In den anderen Nord-Ländern sind Haupt- und Realschulen bereits fusioniert worden.
Die Schulen heißen unterschiedlich: In Bremen Sekundarschule, in Hamburg Stadtteilschule, in Schleswig-Holstein Regionalschule und in Mecklenburg-Vorpommern Regionale Schule.
Vor allem in den Großstädte haben Hauptschulen ein schlechtes Image und in der Fläche ist es teuer, wohnortnah Haupt- und Realschulen anzubieten.
Zum Vergleich: Eine Gesamtschule darf in Niedersachsen erst gegründet werden, wenn es genug Schüler für fünf Klassenzüge gibt - eine Regelung, gegen die Bildungsverbände, Oppositionsparteien und die Initiatoren des "Volksbegehrens für gute Schulen" ankämpfen. Dieter Galas ist einer der Initiatoren. Er hat nichts gegen das Oberschulen-Modell einzuwenden, so lange damit keine integrierten Gesamtschulen (IGS) verhindert werden. Das Modell der Landesregierung weist in Richtung kooperativer Gesamtschulen, in denen die Schüler zwar in einem Gebäude lernen, jedoch unterteilt nach Leistungsniveau. Die Eltern bevorzugten die IGS, sagt Galas: "In den letzten zwei Jahren wurden 28 neue IGS gegründet, aber nur vier neue kooperative Gesamtschulen."
Die kleinen Oppositionsparteien sind unzufrieden mit dem mutmaßlichen Plan Althusmanns, Oberschulen einzuführen. "Ich halte ein Modell mit einem Gymnasium und einer Art Restschule für falsch", sagt Christa Reichwaldt, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. "Das Modell einer Oberschule geht an den Wünschen der Eltern vorbei, wenn in dieser Schule weiter scharf sortiert wird", sagt auch die Grüne Ina Korter. "Diese Oberschule würde schnell zur Restschule werden", befürchtet auch sie.
Beide beklagen außerdem das Prozedere. "Wir erwarten ernsthafte Gespräche und wollen nicht nur über eine Koalitionsentscheidung informiert werden", sagte Reichwaldt. Und Korter sieht den Sinn des Treffens vom Dienstag infrage gestellt: "Wenn der Minister sich schon für ein neues Schulmodell entschieden hat, muss er nicht mehr zum Bildungsgipfel einladen."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!