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SchulreformGrüne basteln weiter an Primarschule

Dem erfolgreichem Volksbegehren zum Trotz hält Hamburgs Grüne Schulsenatorin Christa Goetsch an der Planung der sechsjährigen Primarschule fest. Ihre CDU-Vorgängerin schlägt Kompromiss bis Klasse fünf vor.

Wenn alle Hamburger so begeistert von der Primarschule wären, könnte Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) unbeirrt weiter planen. Bild: dpa

Seit dem erfolgreichen Volksbegehren gegen die Pläne für eine sechsjährige, gemeinsame Primarschule vor einer Woche schlägt Hamburgs grüner Schulsenatorin Christa Goetsch ein eisiger Wind entgegen. Trotzdem hält sie erst mal an den Planungen für die Schulreform fest. Gestern gab sie die geplanten Schulstandorte bekannt. Ab August 2010 soll Hamburg dann 164 Primarschulen, 61 Gymnasien und 51 neue Stadtteilschulen haben.

Hamburg plant eine Doppelreform. Es werden nicht nur die Grundschulen um zwei Jahre verlängert. Gleichzeitig werden alle bisherigen Haupt-, Real- und Gesamtschulen in "Stadtteilschulen" zusammengefasst, auf denen auch das Abitur möglich ist, und zwar nach 13 Jahren. Goetsch gab gestern bekannt, dass jede dieser Stadtteilschulen schon im kommenden Schuljahr für Schüler, die das Abitur anstreben, eine 11. Klasse einrichten soll - "auch wenn die Schülerzahl für eine eigenständige Oberstufe nicht reicht". Ein Signal für Eltern, die damit liebäugeln, ihre Kinder im Februar auf einer Stadtteilschule anzumelden.

"Wir müssen unsere Planungen fortsetzen, weil die Schulen Sicherheit brauchen", sagte Goetsch. Es gebe ein Gesetz, das die Exekutive nun umsetzen müsse. Davon unbenommen sei als "zweiter Strang" ein Moderationsprozess mit der Anti-Primarschul-Initiative "Wir wollen lernen" unter Leitung des Versandhaus-Unternehmers Michael Otto geplant. Kommt es nicht zu einem Kompromiss, werden im Sommer 2010 die Hamburger in einem Volksentscheid über die Reform abstimmen.

Standorte

Die Schuldeputation hat einen Entwicklungsplan beschlossen:

Gymnasien: Alle 59 Hamburger Gymnasien bleiben bestehen. Mit den Schulen Tonndorf und Heinrich-Hertz kommen zwei dazu. Sie beginnen erst ab Klasse 7.

Primarschulen: Viele Schulen fusionieren. So entstehen aus 210 Grundschulen 164 Primarschulen, die von Klasse 1 bis 6 gehen.

Stadtteilschulen: Aus Haupt- und Realschulen, Aufbaugymnasien und Gesamtschulen entstehen 51 Stadtteilschulen

Volksbegehren: 184.000 Hamburger haben gegen die Primarschule unterschrieben. Jetzt soll ein Moderator Kompromisse finden. Fruchtet das nicht, gibt es im Sommer 2010 den Volksentscheid.

Die Standortplanung sei "kein Präjudiz, das etwas irreversibel macht", so Goetsch. Die Stadtteilschulen würden ohnehin gegründet, auch wenn der Volksentscheid erfolg habe. Und auch die Gründung der Primarschulen, sei so oder so sinnvoll. Hier werden Schulen zu "größeren Einheiten" zusammengelegt.

Doch es mehren sich die Stimmen in der Stadt, die einen sofortigen Stopp der Reform verlangen. "Den Plan hätte man besser in der Schublade gelassen", kommentierte der SPD-Schulpolitiker Ties Rabe den gestern vorgelegten Schulentwicklungsplan. Nach dem erfolgreichen Volksbegehren brauche man "eine Denkpause in der Schulpolitik".

Und die frühere CDU-Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig skizzierte im Hamburger Abendblatt schon mal, wie ein Kompromiss mit der Volksinitiative aussehen könnte: Nicht sechs, sondern nur fünf Jahre gemeinsames Lernen, danach die Aufteilung zwischen Gymnasium und Stadtteilschule. Auch ein Elternwahlrecht sollte es nach diesem Vorschlag weiterhin geben. Kinder ohne Empfehlung könnten aufs Gymnasium, müssen aber die Schulform, wenn sie es nicht schaffen, nach Klasse sechs wieder wechseln. Humanistischen Gymnasien will Dinges-Dierig eine Extrawurst erlauben: Sie sollten ihre Lateinklassen schon in Jahrgang fünf starten dürfen. Und den 37 Gesamtschulen stellte die Ex-Senatorin in Aussicht, als "Langformschulen" mit eigener Grundschule weiter existieren zu können. Damit es formal bei sechs Jahren gemeinsamen Lernens bleibt, will sie die Vorschule zur Pflicht machen.

Mit diesem Vorschlag provozierte die heutige Hinterbänklerin prompt den Widerstand von Kita-Eltern und Wohlfahrtsverbänden. Denn viele Eltern haben ihr fünfjähriges Kind bewusst lieber in der Kita, wo es mehr Platz und Freiraum hat, sich zu entfalten. Den Eltern sei ein "freies Wahlrecht zwischen Vorschule und Kita" zugesichert worden, erinnert der Landeselternausschuss Kita. "Ihre Vorschläge sind ein billiger Scheinkompromiss statt einer klugen Lösung", meint auch Diakonie-Geschäftsführerin Gabi Brasch. "Sie widersprechen zentralen Zielen der Schulstrukturreform."

Auch Hamburgs GEW-Chef Klaus Bullan spricht sich dagegen aus, "Abstriche von der Reform" zu machen. Die Lehrergewerkschaft kündigte an, sollte es zum Volksentscheid kommen, mit "Unterschriften, Demonstrationen und Kampagnen" für das längere gemeinsame Lernen zur werben. Und die Linke-Abgeordnete Dora Heyenn sprach davon, durch Dinges-Dierig würden die Vereinbarungen aus dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag "ins Lächerliche" gezogen.

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4 Kommentare

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  • K
    Kalle

    Herr Häußner,

    Ich bin immer sehr erfreut Ihre Kommentare zu lesen und stimmen Ihnen in den meisten Punkten zu.

     

    Man darf hier auch nicht vergessen, dass man in Hamburg nicht nur ein Zeichen setzt, sondern endlich ein alternatives System vorstellt und erproben kann. Ich bin gespannt wie sich das entwickelt und wäre nicht überrascht, sollte der Anteil der Schüler die Abitur machen nun leicht wachsen.

     

    Schade nur, dass sich hier nun wieder konservative und unreflektierte Menschen zu Wort melden, ohne scheinbar begriffen zu haben, welche Möglichkeiten dieses neue System zumindest andeutet.

  • D
    DiversityAndEquality

    In diesem Land scheint ein Ende der sozialen Bildungsapartheid schlichtweg unmöglich zu sein. Wo kämen wir denn hin, wenn Kinder aus gutbürgerlich-privilegierten Familien mit Arbeiterkindern oder solchen nichtdeutscher Abstammung zur Schule gehen müssten. Sagte ich "Bildungsapartheid"? Mann kann es auch Faschismus nennen, und der hat ja in Deutschland Tradition.

  • DL
    Dr. Ludwig Paul Häußner

    Kurs halten und Eltern Wahlrecht einräumen

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    Die Innovation in der Hamburger Schulstruktur hat Leuchtturmwirkung bis in die schwarz-gelb regierten Südländer Baden-Württemberg und Bayern.

     

    Es wäre ein fatal für die Schulkinder, wenn ein fauler Kompromiss, wie von der Hamburger CDU-Ex-Kultusministerin, vorgeschlagen zustanden käme.

     

    Die CDU sollte nicht vergessen, dass eine rot-rot-grüne Mehrheit weiterhin möglich ist.

     

    Für die GAL müsste es das Ende der Koalition sein, falls hier die CDU umfallen würde.

     

    Um die angeheizte Stimmung abzukühlen sollte den Eltern das Wahlrecht für die eine oder andere Säule, aufbauend auf der Primarschule, eingeräumt werden. Wir brauchen nicht nur eine vertikale Durchlässigkeit sondern auch einen horizontale.

     

    Im qualitativen Wettbewerb zwischen den beiden aufbauenden Säulen können weitere Innovationen gefördert werden - letztlich zum Wohle der Kinder und Jugendlichen, um die es im Grunde genommen geht.

     

    Dr. Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe

    www.unternimm-die-schule.de

  • F
    FelSch

    Schulpolitik ist ein Trauerspiel in 4 Akten. Nach jedem 4. Akt wechseln nur ständig die Regisseure und stellen eine völlig neue Theatertheorie auf, an der sich alle am Spiel Beteiligten halten und in die Praxis übertragen müssen. Und am Ende des 4. Aktes stellt man immer wieder fest: Es endet in der Katastrophe. Man darf sich nicht an anderen Theaterhäusern orientieren und schon gar nicht an der fordernden Wirtschaft. Lasst den Schauspielern und Beteiligten doch mehr Freiheit in ihrer Kunst, um endlich mal wieder ein Stück zu inszenieren, welches auch das Publikum mal wieder ins Zentrum stellt und deren Bedürfnisse befriedigt!

    Ein Theaterstück zu entwickeln, braucht Zeit, genauso wie die Ausbildung der Schauspieler. Umso mehr Zeit gekürzt wird, desto weniger brauchbar die nachwachsenden Rohstoffe!