piwik no script img

Schulreform in HamburgPolitische Bildung

In Hamburg entscheidet sich, ob CDU und Grüne es schaffen, dass Kinder länger gemeinsam lernen. Und ob den Grünen der Charme von Schwarz-Grün erhalten bleibt.

Ole von Beust und Christa Goetsch zu Besuch in einer Grundschule. Bild: dpa

Wenn die Vermittlungsgespräche über die Hamburger Schulreform scheitern, gibt es in der Stadt wahrscheinlich einen Volksentscheid zum Für und Wider der sechsjährigen Grundschule. Die schwarz-grüne Koalition muss dann das Schicksal ihres wichtigsten Projekts der Hoffnung ausliefern, dass sich die Reformanhänger an einem Sonntag in den Sommerferien auch zur Urne bequemen.

Die Umfragen deuten darauf hin, dass sich eine Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger für die Schulreform des Senats finden lassen wird. Die Frage ist, ob die anstehende Kampagnenschlacht eine entsprechende Willensäußerung noch zulässt. Oder ob nicht viele Befürworter genervt sein und ihr Votum schon deshalb verweigern werden, weil sie die Geschichte von dem standhaften CDU-Bürgermeister Ole von Beust und der tapferen Grünen-Schulsenatorin Christa Goetsch bald nicht mehr hören können. Eine Chance des Volksentscheids bestünde immerhin darin, dass die SPD-Wähler sich zur Sache äußern dürfen - ohne dass ihr Votum von den oppositionellen Verrenkungen der Sozis in der Bürgerschaft verzerrt wird.

Das drohende Debakel spaltet jedoch nicht nur Hamburg und insbesondere seine CDU, welche vom Bürgermeister nur noch mit Ach und Krach auf Linie gehalten wird. Auch die Grünen haben viel zu verlieren.

Die Hamburger Schulreform

Projekt: Die Schulreform ist eines der wichtigsten grünen Projekte im schwarz-grünen Hamburger Senat. Die Grundschule soll durch eine Primarschule ersetzt werden, auf der alle SchülerInnen sechs Jahre (bisher: vier) gemeinsam lernen. Ab der 7. Klasse ist eine Aufteilung in Gymnasium und Stadtteilschule anstelle des bisherigen dreizügigen Systems vorgesehen.

Protest: In nur einem Monat sammelte die Initiative "Wir wollen lernen" gegen die Primarschule und für eine Beibehaltung des Elternwahlrechts 184.500 Unterschriften - rund dreimal so viele, wir für einen Volksentscheid nötig sind. Seit Mitte Januar laufen Vermittlungsgespräche zwischen der Initiative und dem Senat.

Den Grünen in Hamburg mag es zwar gelingen, für ihr aufrechtes Bemühen vom Wähler wie vom Anhänger noch belohnt zu werden. Die Frage, welche Fehler auch sie gemacht haben, stellt gnädigerweise bislang kaum einer. Die schwarz-grüne Vorzeigekoalition, die Erste ihrer Art in einem Bundesland, muss über der Primarschule auch nicht zerbrechen. Die Grünen im Rest der Republik schauen jedoch mit Grausen nach Hamburg.

Denn alle Grünen, die ab jetzt mit einer Bildungsreform ein schwarz-grünes Regierungsbündnis begründen wollen, werden auf Hohngelächter stoßen. "Soso, fortschrittliche Bildungspolitik ist mit der CDU möglich und machbar?", wird es heißen - "das ist ja in Hamburg auch super gelaufen!"

Bildung ist das größte Pfund der Grünen in den Ländern. Mit Bildung binden und gewinnen sie ihre Leute: gut gebildete Eltern, speziell die Mütter, und deren volljährigen Nachwuchs. Das Bildungsthema funktioniert binnengrün flügelverbindend als Sozialthema, denn es riecht nicht nach Umverteilung. Genau deshalb ließ sich auch mit Bildung - und einer halbwegs aufgeschlossenen CDU - ohne nennenswerte Widerstände bei Partei und Anhängerschaft die erste schwarz-grüne Landeskoalition begründen.

Wie aufgeschmissen Grüne sind, wenn sie mit diesem Pfund nicht wuchern können, ist schon in Nordrhein-Westfalen zu besichtigen. Eine schwarz-grüne Koalition nach den Landtagswahlen im Mai ist zwar nicht die Traumverbindung der insgesamt eher linken NRW-Grünen, doch ausgesprochen möglich. Für eine Schulreform jedoch ist weder NRW das geeignete Land, noch die Jürgen-Rüttgers-Truppe der richtige Ansprechpartner. Um glaubwürdige Kriterien für einen schwarz-grünen Koalitionsvertrag zu formulieren, müssen die Grünen auf das Thema Öko und Energie zugreifen. Das aber bietet kein zündendes Äquivalent zur "Primarschule", kein lockendes Versprechen, mit der CDU Geschichte zu schreiben, während man mit der SPD nur gemeinsam unterginge.

Im kommenden Jahr, 2011, wird allein im Frühjahr in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Bremen gewählt. Im Herbst folgen Berlin und Niedersachsen. Ein Jahr haben die schwarz-grünen Grünen überall dort noch Zeit, das Thema zu finden, mit dem sie ihre Wunschkoalition verkaufen können - wenn die Reform in Hamburg scheitert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • F
    Fachmann

    Wie sagte doch Herr Beust unlängst in einem Interview der Süddeutschen?

    "Ich bin wohl linker und ökologischer geworden".

     

    Als "link" aber nicht als "links" mag wohl man Hamburger (CDU Wähler) die 180 Grad Drehungen ("Ich bin kein Fähnchen im Wind") des ersten Bürgermeisters empfinden.

     

    Und so manch Grüner mag sich angesichts der Hamburger Grünen Themen "Elbvertiefung" und "Moorburg" fragen was von Beust mit "ökologisch" meint. Vielleicht hat er da ein Fremdwort verwechselt - "opportunistisch"

    trifft es da doch wohl eher. Für alle die es vergessen haben; da gab es doch noch die Machtübernahme mit "Richter Gnadenlos".

     

    Was das Thema Schulreform angeht:

     

    Unabhängig von allen Polemiken und Allgemeinplätzen, die hier von beiden Seiten verbreitet werden: Mit einer Strukturreform wird leider nicht einem Kind in Jenfeld, Wilhelmsburg etc geholfen.

     

    Mit etwas Zahlenverständnis kann man aus bestehenden Schulstatistiken, KESS Studien, Studien der Bertelsmannstiftung erkennen warum eine Strukturreform erst dann eine Erfolgschanche hat, wenn man die Hälfte der Eimsbüttler und Blankeneser Kinder per Schulbus täglich nach Wilhelmburg zu Schulunterricht und Kita karrt.

     

    Solange das nicht umsetzbar ist, sollte man einfachere Lösungen umsetzen.

  • EV
    Ein Vater

    Eine Umfrage, die eine Zustimmung zur Schulreform ergeben soll, kenne ich nicht. Ich weiß nur, daß sich innerhalb eines Monats 184.500 Hamburger gegen die Zwangsbeglückung von Frau Goetsch und Genossen gestellt haben - mehr als doppelt so viele, wie die GAL Stimmen bei der letzten Bürgerschaftswahl bekommen hat. Und diese Stimmen sind bei den Hamburgern "abgeholt" worden. Beim Volksentscheid bekommt jeder die Unterlagen per Post und kann sie per "Briefabstimmung" vom Sessel aus losschicken. Ich bin zuversichtlich, daß sich die große Mehrheit der Hamburger nicht von Ideologie, sondern von der Vernunft leiten läßt, und die spricht ersichtlich gegen die Reform. Man möge nur nach Berlin schauen, wo die ganz roten Genossen das Schulsystem gerade systematisch an die Wand fahren. Die Studie, die das belegt (Element) wird von den Politikern schlichtweg ignoriert, obwohl der Berliner Senat sie selbst in Auftrag gegeben hat. Leider kam ein anderes Ergebnis heraus, als sich die großen Reformer gewünscht hatten. Aber die Gutmenschen und Weltverbesserer haben sich ja noch nie um Fakten gekümmert.

  • L
    Leser

    Die TAZ schreibt, dass die Bildungspläne der Grünen nicht nach Umverteilung "riechen". Leider ist genau das Gegenteil der Fall. Den Grünen geht es primär nicht um eine Erhöhung des Bildungsniveaus, sondern um eine Nivellierung, selbst wenn dies zu einer Absenkung des Bildungsniveaus führt. So haben auch die Bundesgrünen nach der Bundestagswahl ausdrücklich und in Abgrenzung zur SPD und den LINKEn betont, dass die Bildungspolitik für sie ein entscheidendes Umverteilungsinstrument sei.

     

    Genau dies ist es, was ein Großteil der Hamburger Elternschaft auf die Barrikaden treibt. Bei den Gegener handelt es sich im Übrigen besonders um Eltern, die selbst keinen höheren Bildungsabschluss haben, deren Kinder aber die Chance haben, ein Gymnasium zu besuchen. Genau um diese Chance fürchten die Eltern, die sich anders als z. B. Politiker wie Lothar Bisky für ihre Kinder keine Privatschule leisten können.

  • D
    Demo

    Die Grünen (GAL) haben die Demokratie in Hamburg mit Füßen getreten und sich damit selbst widersprochen. Seit dem Jahr 2008 steht die Diskussion in Hamburg über die Schulreform im Raum, über 1 1/2 Jahre. Wären sie so volksnah, hätten sie schon längst eingelenkt und geschlichtet. Die Grünen, die nach ihren Grundsätzen für Demokratie und freie Mitbestimmung in jeder Lebenslage stehen, hebeln Volkes Stimme einfach aus. Sie würden für die freie Meinung und für Volksbegehren stehen, aber in Wirklichkeit agieren sie gegenteilig und versuchen mit aller Macht das Volk zu degradieren und dafür ist jedes Mittel recht. Die Grünen setzen die Schulen GEGEN die Eltern und Kinder ein. Schulen als politischer Mittelpunkt der eigenen politischen Interessen. Was interessiert das alte Geschwätz der Grünen von früher, in der Zeit, in der Schulen frei sein sollten vor politischer Beeinflussung, Machteinflüssen und Religion. Freie Entfaltung, Denken, Mitbestimmung und Handeln waren die Kernpunkte. Heute wird den Eltern und Kindern jegliches Recht der Freiheit genommen. Sie müssten gelenkt und geformt werden. Tja, die Grünen, dass sind die, vor denen uns die 68er gewarnt haben!?

    Demokratie ist nicht, das Gesetzgebungsverfahren vor einem Volksbegehren stattfinden zu lassen und einen Volksentscheid behördlich gewollt am Sonntag in den Sommerferien stattfinden zu lassen... So hebelt man direkt und gewollt Demokratie aus.

    Egal wie es ausgeht, ein Kompromiss oder ein Volksentscheid. Der Politik hat es in Hamburg schwer geschadet, für beide Parteien wird es wohl der letzte "starke" Auftakt und die letzte Wahlperiode gewesen sein. In Hamburg sagt man Tschüss.

    Und noch viel Schlimmer ist das, was sie hinterlassen haben. Sie haben die Demokratie zu Grabe getragen und wer weiß, wer nach dieser Wahlperiode kommt.

    Die Schulreform hat sich zum Elefantenrennen entwickelt. Das Rennen um Macht und den rücksichtslosen Machtkampf von CDU & GAL, Exekutive (GAL-Beamten) und Legislative um die besten Plätze. Schön, jetzt können sie aus der Ersten Reihe live den (ihren) "Untergang" verfolgen.

  • KD
    Kurt David

    Die Frage ist doch weniger, ob die Reformbefürworter ihren Arsch hochbekommen und zur Urne gehen, sondern, ob sie ihren Arsch hochbekommen und dieser unsäglichen Kampagne des saturierten Bidungsbürgertums etwas entgegensetzen.

  • VZ
    Vater zweier Schulkinder

    Auf welche Umfragen der Zustimmung zur angeblichen "Schulreform" bezieht sich denn die taz?? Die letzten Umfragen, die ich vor ein paar Tagen im Hamburger Abendblatt gesehen habe, waren mit großer Mehrheit gegen die "schulische Zwangsbeglückung" durch die Grünen.

    Es gibt doch so viele kluge Leute bei der taz, auch Eltern von Schulkindern: Da wundere ich mich, dass nicht kritischer über Berlin und die dort bereits eingeführte 6-jährige Zwangsgrundschule berichtet wird. Die PISA-Gewinner sitzen jedenfalls in BW, Bayern, Sachsen oder Thüringen. Und nicht in HH oder Berlin.

  • R
    reblek

    "Und ob den Grünen der Charme von Schwarz-Grün erhalten bleibt." - "Charme"? So schreiben die, die sich eingerichtet haben.